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Ausstellungen: Wien · von Rainer Metzger · S. 360 - 362
Ausstellungen: Wien , 2004

RAINER METZGER
Heiliger Sebastian

“A Splendid Readiness for Death”
Kunsthalle Wien, 14.11.2003 – 15.2.2004

Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin. Was vor zwanzig Jahren ein friedensbewegter Slogan war, enthält zugleich eine alle Parteien übergreifende Wahrheit. Der Sponti-Spruch redet vom Prinzip Alternative, und genau die Möglichkeit, dass alles genauso gut vollkommen anders sein kann, ist insgesamt eine tragende Kraft in aktiver und passiver Beteiligung an Gewaltakten. Das Opfer sieht keine Alternative, der Moment, in dem es traktiert wird, erscheint ausweglos. Der Täter aber könnte jederzeit ablassen, könnte einhalten oder zumindest das Verfahren ändern. Der Täter ist für das Opfer radikale Kontingenz, und es ist speziell diese Erfahrung von Kontingenz, die Gewalt so skandalös, so sinnlos, so inakzeptabel nicht nur für eine körperliche, sondern gerade auch für eine intellektuelle Wahrnehmung macht. Sie erschüttert das Vertrauen in die Dinge der Welt.

Das Christentum hat einen perfekten Mechanismus entwickelt, Kontingenz in ihr Gegenteil umschlagen zu lassen, in Notwendigkeit. Der Märtyrer unterliegt einer Gewalttat, die nicht nur nicht willkürlich, sondern geradezu unabdingbar war, denn sie hat ihn auf den Weg zum ewigen Heil gebracht. Der Täter ist nun derjenige, der nicht anders kann. Ein göttlicher Ratschluss hat ihm eine Rolle auferlegt, einen buchstäblichen Handlangerdienst für die Kanonisierung. Das Christentum liefert die Opfer-Religion par excellence, denn seine prominenten Vertreter, allen voran der Religionsstifter selbst, demonstrieren für die Ewigkeit, dass Opfer nicht nur nicht sinnlos, sondern geradezu rentabel sind für die eigene Biografie und für die Orientierung anderer.

Insofern hat die Ausstellung, bei der die Kunsthalle Wien…



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