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Titel: Ästhetik des Immateriellen · S. 132 - 135
Titel: Ästhetik des Immateriellen , 1988

Vilem Flusser
I. Szenen aus dem Familienleben

Zweites Szenario
Grossmutter

Nach dem Durchbruch der weißlichen Wolkendecke mit den darin aufleuchtenden Kugelblitzen zeigt sich die Planetenoberfläche als gelblicher Ozean. Er mutet dickflüssig an, ist unbewegt. Aber ein Phänomen fesselt unsere Aufmerksamkeit: Der Schatten unseres Flugzeugs erscheint auf ihm nicht optisch, sondern als ein Bas-Relief; und er folgt nicht der Flugbahn, sondern scheint ihr voranzueilen, ganz so, als wolle er uns den Weg weisen. Tatsächlich folgen wir auch nicht dem vorkalkulierten Orbit, sondern weichen davon ein wenig ab, ganz so, als seien wir von einer an den Instrumenten nicht ablesbaren Kraft angezogen. Die uns ergreifende Erregung legt nahe, daß es sich bei dieser Kraft um das Reichsche Orgon handelt. In der vom Schatten angedeuteten Richtung erhebt sich gegen den Horizont eine gebirgsähnliche Formation: solide Blasen, die aus dem Ozean steigen. In der Mitte der Formation steht ein um vieles größerer Berg als die ihn umgebenden, ungefähr kreisförmig angeordneten übrigen. Es handelt sich um neun in zwei Gruppen aufgeteilte Berge, und der zweite Berg der äußeren Gruppe ist von einem seltsamen Ring umgeben. Kein Zweifel ist möglich: Die Gebirgsformation ist ein Modell des Planetensystems. Sie bedeutet die an uns gerichtete Frage: “Woher kommt ihr?” Wir bringen die Reaktoren ins Spiel und richten unsere Flugbahn auf den dritten Berg der inneren Gruppe, jenen, der Erde bedeutet. Sogleich rollt der zweite Berg dieser Gruppe, also Venus, dem Berg entgegen, verschmilzt mit ihm, und die Gebirgsformation taucht wieder in den Ozean unter. Vor Erregung bebend lassen wir eine Sonde…


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