Editorial
Lebenskunst:
Gastarbeit zwischen Kunst und Leben
VON PAOLO BIANCHI
Kunst leben
Die Lebenskunst ist der Eindringling in das eingelebte Leben. Sie ist die Platte mit Sprung, ohne dass man die Möglichkeit hätte, sie vom Teller zu nehmen. Wer ist Lebenskünstler? Ist es der in jedem Sinn leidenschaftliche Intellektuelle aus akademischem Milieu? Ist es der Künstleres als Bohemien? Oder der saturierte Lifestyle-Held, der sein schlechtes Gewissen gegenüber des Gesellschaft in Leichtsinn, Humor und Selbstironie auflöst? Oder ist es jemand dazwischen?
Das kleine s, das sich in der Lebenskunst zwischen Leben und Kunst eingeschlichen hat, sind wir selbst. Das Prinzip Lebenskunst ist potentiell in allen von uns enthalten. Die Lebenskunst ist eine Schnittstelle. Die kritische Interpretation der Gesellschaft wird auch auf sich selbst angewandt. Es kommt eine Selbstsubversion ins Spiel, ein dauerndes Reflektieren der eigenen Position, ein permanentes Experimentieren. Lebenskunst bedingt einen Freiraum für Suchprozesse. Selbstsubversion steht für ein Optimum an selbstbestimmter Lebensführung.
Das heutige Verständnis der Autonomie von Kunst meint nicht ihre “Verselbständigung der Gesellschaft gegenüber” (Adorno), sondern ihre “Verselbständigung in der Gesellschaft” (Luhmann). Gefeiert werden können der Abschied vom Konzept Selbstverwirklichung und der strahlende Beginn des Experiments Lebenskunst, was nicht zuletzt eben meint: Kunst (zu) leben!
Lebenskunst verkörpert sich par excellence im Lebenskunstwerk (LKW). LKWs kombinieren individuelle Gedankengänge mit Notwendigkeiten der Zeit und bringen sie in eine Form. LKWs sind auf der Höhe der Zeit, aber keine Produkte des Zeitgeistes. Sie sind weder unzeitgemäss noch zeitenthoben, eher schon zeitlos – Falten in der Zeit. Zeitfalten sind noch kaum erforscht. Normalerweise reicht der Fernseher, um das Gefühl nach…