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Ausstellungen: Oberammergau · von Cornelia Gockel · S. 388 - 389
Ausstellungen: Oberammergau , 2000

Cornelia Gockel
Robert Wilson: »14 Stations«

Passionsspiele, Oberammergau, bis 8.10.2000

Ein nackter, weiß geschminkter Mann kriecht über den kurzgeschorenen Rasen. Langsam tasten sich seine schlanken Hände vor, suchen in dem dichten Gras nach Halt, um den Körper noch ein Stück weiterzuziehen. Unendlich langsam und qualvoll erscheinen seinen Bewegungen. Dann dreht er seinen Kopf, blickt einen Moment angstvoll zu uns nach oben und bedeckt sein Gesicht mit den Händen. Es ist die siebente Station des Kreuzwegs in Oberammergau: Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz. Aber Robert Wilson hat in seiner Videoinstallation auf die Illustration der biblischen Geschichte verzichtet. Der weißgeschminkte Mann wird zum übergeordneten Symbol des allgegenwärtigen menschlichen Leidens.

“14 Stations” nennt der amerikanische Künstler und Theaterregisseur sein neues Ausstellungsprojekt, das er anlässlich der Passionsspiele 2000 in Oberammergau realisiert hat. Nach einem alten Brauch wird hier alle 10 Jahre das Spiel vom Leiden und Sterben Christi von Laienschauspielern aufgeführt. Ursprung dieser Tradition ist ein Gelübde, das 1633 von den Oberammergauern abgelegt wurde, um die Bedrohung durch die Pest abzuwenden. 1. Spielleiter ist in diesem Jahr der 38-jährige Theaterregisseur Christian Stückl. Zusammen mit dem Dramaturg Otto Huber hat er den alten Passionstext von 1860/70 neu bearbeitet und in einer zeitgemäßen Form inszeniert. In der fast sechs Stunden langen Fassung wurden zur Steigerung der Dramatik einige der Hauptfiguren stärker konturiert. Auch Jesus, der in dem alten Passionstext vorwiegend als passiv Leidender dargestellt wurde, gewinnt in der Neubearbeitung als streitbarer Prophet. Die Oberammergauer Passionsspiele sind wegen antijudaistischer Untertöne immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik geraten….


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