Carrie Asman
Wunderkammer-Europa
I. CITIZEN KANES XANADU*
Als Orson Welles 1941 mit 25 Jahren seinen ersten Film Citizen Kane drehte, hatte er gewiss keine Theorie der Sammlung im Sinn. Spannung bringt Welles in seine Biographie des Zeitungsmagnaten William Randolph Hearst, indem er, nach Siegfried Kracauers Manier, nicht nur Detektiv und Psychoanalytiker zusammenbringt, sondern diese in der dritten Figur des Reporters nochmals fusioniert.1 Denn alle drei sind auf der Suche nach der “eigentlichen Story”, die sich hinter dem letzten Wort des sterbenden Mannes verbirgt – “Rosebud” – das Einblick in sein exzentrisches Leben und geheimnisvolles Wesen bringen soll. Des Rätsels Lösung liegt zwar gleich im ersten Bild in Form eines Papiergewichts – eine Glaskugel mit kaum sichtbarer Rosenknospe in einer Schneelandschaft – auf der Hand. Macrocosmos in Microcosmo. Trotz der täuschenden Transparenz, bietet die Kugel aber keinen klaren Einblick in das größere Geschehen.
Diese Eingangsszene kann erst nach zwei Stunden analytischer Filmarbeit mit Hilfe einer Schlüsselszene am Ende gelesen und erklärt werden. Dem Zusammenhang zwischen “Rosebud” und dem Objekt, das Kane – scheinbar zufällig – festumklammert in der Hand hält und im Augenblick des Sterbens loslässt, kann man beim ersten Mal, als das Glasgewicht vom Bett fällt, mit dem Blick der Kamera zwar noch räumlich folgen, aber der “zweite” Fall, am Ende des eiernden diagonalen Laufs über den Boden des Sterbezimmers in die schneeumnachtete Landschaft seiner Kindheit hinein, versperrt den voyeuristischen Blick des Zuschauers in die andere Dimension genauso wie das Eisengitter vor Citizen Kanes Privatschloss Xanadu. Die Freilegung dieses Blicks wird zum Anliegen…