Atelierbesuch bei Sun Yitian in Peking
Die Fantasien des Simulierens
von Heinz-Norbert Jocks
Die Fahrzeit mit dem Taxi zu dem nordöstlich von Pekings Stadtzentrum gelegenen Bezirk Shunyi beträgt vierzig Minuten. Hier, nicht weit vom Capital International Airport entfernt, in einer kleinen Allerweltstraße sind wir bei Sun Yitian zu Besuch in ihrem Atelier, um im Austausch mehr über ihre Kunst zu erfahren. Über einer hölzernen Konsole, die mit Behältern voller Pinsel, allerlei Kleinkram und Plastikspielzeug, mit Barbie Puppen wie Ken, einer kleinen Schachtel mit losen Puppenköpfen, mit Muschelgehäusen, Tieren wie Schlangen, Seesternen und Quallen aus Gummi, mit einer papierenen Lucius Verus Skulptur und Büchern zu Alex Katz, Liu Ye, Wu Dayu, Ghada Amer oder Hieronymus Bosch überflutet ist, hängt eine Serie kleinformatiger Bilder, die Einblick in ihr visuelles Tagebuch gewähren, und auf der gegenüberliegenden Wand zwei größere Formate. Darauf dargestellt ein grüner Kaktus vor rosafarbenem Hintergrund, der wie ein aufblasbarer Luftballon anmutet. Die so glänzende wie dornenlose Oberfläche zeugt von einer geradezu auratischen Künstlichkeit, über die wir die Natur, auf die ihre Form anspielt, regelrecht vergessen. Sie erscheint zudem so aalglatt, dass sie unsere taktile Lust befeuert, über diese wie über zarte Haut streicheln zu wollen. Befreit von jeglicher Bedeutung, wird in diesem Bild mit dem Titel Let me hold you (2015) alles Erzählerische verbannt, so dass die makellose Oberfläche der Erscheinungen, die für sich steht und wirkt, den Ton in den Bildern angibt.
Die beinah penible Sorgfalt, mit der Sun den schönen Zauber verführerischer Oberflächen nachmodelliert, legt den Schluss nahe, dass sie von…