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Titel: Vom Ende der Demokratie · von Harald Welzer · S. 60 - 69
Titel: Vom Ende der Demokratie , 2010

Harald Welzer
Auf Wiedersehen, Westen?

Wie die Demokratie aus der Mode kommt

In einer globalisierten Welt werden die Verflechtungen zwischen den Handlungen und Entscheidungen, die an einer Stelle der Welt vorgenommen werden, mit den Folgen, die daraus an einer anderen Stelle resultieren, unausweichlich. Zum Beispiel stellt der vermehrte Einsatz von Treibstoffen, die aus Biomasse gewonnen werden, eine Lösungsstrategie des Westens dar, den schwindenden fossilen Ressourcen gegenzusteuern und zugleich die Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren. Das aber hat zur Folge, wie besonders im Zusammenhang mit den Hungeraufständen von 2008 deutlich wurde,1 dass Wälder gerodet oder bereits vorhandene landwirtschaftliche Nutzflächen umgenutzt werden, um für Biosprit geeignete Pflanzen anzubauen – was übrigens gelegentlich auch mit gewaltsamen Landnahmen einhergeht.2

Das, was wir in den Tank unseres Autos füllen, ist möglicherweise das, was andere nicht mehr auf dem Teller haben. In etwas allgemeinerer Perspektive heißt das, dass die gewohnte Perspektive, vom vermeintlich sicheren und unschuldigen Ort unserer Wohlstandsinsel auf Probleme in anderen Teilen der Welt zu schauen, sie als „humanitär“ zu definieren, sie zu skandalisieren oder sie, je nachdem, einfach als die Probleme anderer Leute zu betrachten, nicht mehr einzunehmen ist. Wenn in Sibirien die Permafrostböden schmelzen, im südlichen Afrika sich die Wüste weiter ausbreitet, in den Anden die Gletscher schmelzen oder im Auftrag von BP gigantische Mengen von Öl das Ökosystem des Golfs von Mexiko ruinieren, dann sind das keine Probleme, die sich unabhängig von uns „da draußen“ abspielen. Wenn die globalisierte Welt kein Außen hat, dann können wir auch keine Sichtweise mehr einnehmen, die von „innen“ auf die…


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