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Essay · von Florian Rötzer · S. 44 - 49
Essay , 2001

FLORIAN RÖTZER
Das terroristische Wettrüsten

ANMERKUNGEN ZUR ÄSTHETIK DES AUFMERKSAMKEITSTERRORS

Die Terroranschläge haben wieder einmal die schrecklichen Seiten einer Mediengesellschaft offenbart, die nicht vornehmlich Wissen oder Information verarbeitet, sondern deren Fundament die Erzeugung und Akkumulation von Aufmerksamkeit und, wie man als Reaktion beobachten kann, der Ausbau von Überwachung als der meist weniger beachteten Kehrseite der Aufmerksamkeit ist. Die Anschläge zeigen, dass die Terroristen ebenso wie die Medien gefangen sind in einer Überbietungsspirale, also immer größere und beeindruckendere Spektakel realisieren müssen, um noch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erhalten. So ließ sich in den 90er Jahren zwar beobachten, dass die Zahl der Anschläge weltweit zurück gegangen ist, aber die Zahl der Opfer kontinuierlich zunahm. So wurden 1991 nur bei 14 Prozent aller Anschläge ein Mensch getötet, 1995 gab es Tote bereits bei 29 Prozent, was bedeutet, dass die Zahl der Toten pro Anschlag steigt. Beispielsweise sagte Timothy McVeigh, der in Oklahoma 1995 bei einem Bombenanschlag 168 Menschen tötete, auf die Frage, ob er sein Ziel nicht auch durch eine Aktion hätte erreichen können, die keine menschlichen Opfer erfordert: “Das hätte die Botschaft nicht herübergebracht. Wir brauchten eine Zählung der Opfer, um unsere Botschaft zu übermitteln.”

Es scheint hier eine Art von berechenbarer Gleichung zwischen der Menge der Opfer und dem Erfolg im Hinblick auf die zu erzielende Aufmerksamkeit zu geben. Schon beim Anschlag im Jahr 1983 auf den Stützpunkt der US-Marine in Beirut mussten 240 Soldaten aufgrund einer Lastwagenbombe sterben, deren Stärke außergewöhnlich war. 6000 Kilogramm Sprengstoff ergaben mit den zusätzlich vorhanden entflammbaren Gasen…


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