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Titel: Grosse Gefühle · von Georg Franck · S. 127 - 138
Titel: Grosse Gefühle , 1994

Georg Franck
Die temporale Wirklichkeit der Gefühle

Eine Kritik der materialistischen Psychologie

Gefühle sind etwas sehr Reales. Ihre Macht kann unwiderstehlich sein. Unerbittlicher als alles, was wir äußerlich wahrnehmen, können sie aufmerksame Zuwendung erzwingen. So ist das Schlimme z.B. an der Angst nicht nur die Bange, die sie macht. Das Schlimmste an ihr ist, daß die Bange die ganze Aufmerksamkeit beherrscht. Auch das Überwältigende an der Faszination ist nicht die beeindruckende äußere Macht. Was überwältigt, das ist das eigene zwanghafte Hingerissensein. Alles, was unsere Aufmerksamkeit in Beschlag nimmt, ist für uns als bewußte Wesen wirklich; alles, was sie gefangenhält, hat für uns sogar überwältigende Realität. Es gibt nichts Wirklicheres als das, was einem nicht aus dem Sinn geht.

Trotzdem haben Gefühle diese spürbare Wirklichkeit nur für uns selber, nämlich nur für die erste Person. Von außen, aus der Perspektive der dritten Person, gibt es lediglich das Gefühlsverhalten und die Nervenprozesse, die dieses steuern. In unserer Alltagspsychologie verbinden wir die beiden Perspektiven durch einfachen Analogieschluß vom eigenen Erleben auf den Innenaspekt des anderen Verhaltens. Die Psychologie als empirische Wissenschaft versucht, diese Mischung von Introspektion und Extrospektion zu meiden. Sie versucht, die Perspektive der ersten Person konsequent durch die der dritten zu ersetzen. Im Zuge dieser Ausschaltung der Innensicht ändert sich der Begriff des seelisch Wirklichen. Seelisch wirklich ist dann nur noch, was sich im äußeren Verhalten und in der empirisch zugänglichen Funktion des Nervensystems manifestiert. Von der Macht der Gefühle, wie wir sie subjektiv erleben, bleiben dann nur Verhaltensantriebe und physiologische Wirkungszusammenhänge. Im Folgenden…


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