Jürgen Raap
Timm Ulrichs
Menschlicher Maßstab
Die biographischen Eckdaten von Timm Ulrichs – 1940 in Berlin geboren, seit 1959 in Hannover ansässig, seit 1972 Professor an der Kunstakademie Münster – sagen für eine monographische Erfassung des künstlerischen Werks wenig aus. Ortswechsel, Veränderung der beruflichen oder familiären Lebensumstände, Reisen etc. können, müssen aber nicht unbedingt Einschnitte in Schaffensphasen markieren. Zuweilen fallen mir von Künstlern biographische Notizen in die Hände, bei denen zwischen der Auflistung wichtiger Ausstellungen auch »Heirat mit« oder »Geburt des ersten Kindes« vermerkt wird. Diese privaten Ereignisse mögen durchaus Rückwirkungen auf die künstlerische Arbeit und Existenz haben und bei anderen dann auch mit einiger Berechtigung der Erwähnung bedürfen, jedoch nicht bei Timm Ulrichs. Denn wo sich dessen »Totalkunst«-Begriff an der eigenen Person festmacht, getreu der Parole »Kunst ist Leben, Leben ist Kunst«1, ist der Unterschied zwischen privater und öffentlicher Sphäre aufgehoben.
Sich selbst als lebendes Kunstwerk auszustellen (1961/1965) oder zu dokumentieren, wieviele abgeschnittene Finger- und Fußnägel die Körperpflege während eines Jahres (1968) hervorbringt, bedeutet eine Selbstbefragung und Selbstbespiegelung bereits in einer Zeit, als man noch nicht darüber debattierte, wo und wie die Datenschutzgesetze eine Abschirmung des Intimlebens zu garantieren hätten. Zur Selbstbestimmung über das eigene Leben gehört wohl auch eine Aneignung der Medien bzw. eine satirische Pervertierung ihrer Techniken. Ulrichs hat dies schon früh begriffen mit »Zeitungsannoncen als Kunstwerk« (1964 ff.). Er gab 1967 seine Vermählung mit Kurt Schwitters’ literarischer Figur Anna Blume bekannt und fragte 1975 die Zuschauer des ZDF-Kulturmagazins »Aspekte«: »Möchten Sie einen berühmten Künstler zum Freund?«
Egozentrische Manifeste
Solche Projekte waren…