RAINER UNRUH
Inga Svala Thorsdottir: Borg
Hamburger Kunsthalle, 12.9.04 – 2.1.05
Borg ist ein besonderer Ort. Einerseits lässt sich seine Lage exakt bestimmen, nämlich 21 Grad West und 64 Grad Nord: nordwestlich von Reykjavik. Andererseits existiert er nur in der Vorstellung und den Werken von Inga Svala Thorsdottir (Jahrgang 1966). Die isländische Künstlerin propagiert den Bau einer Großstadt mitten in der Einöde ihrer Heimat. Sehr einladend wirkt die Landschaft nicht. Ein Video am Eingang der Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle zeigt eine von Schnee bedeckte Ebene, in der gelegentlich Felsen und Hügel auftauchen. Aus dem Lautsprecher des Fernsehers dringen unverständliche Sprachfetzen und das Heulen des Windes.
Mit ein wenig Fantasie sieht das Ganze schon viel besser aus. In einer unveröffentlichten Erzählung mit dem Titel “Micropilina Minuta” beschreibt Inga Svala Thorsdottir, wie sie mit einem Freund durch die bereits erbaute Stadt geht. Es gibt vier Stadtteile mit jeweils 220000 Einwohnern und ein Stundenhotel mit acht Meter hohen Räumen. Ein Zug verbindet Borg mit Reykjavik, und am Bahnhofkiosk kann man sich mit Amphetamin aus lokaler Produktion, Cola und Hasch versorgen. In den Restaurants werden Seeschwalbeneier mit mariniertem Hering serviert. In der Hamburger Kunsthalle muss man sich mit kargerer Kost begnügen. Karten und Fotos informieren über die Beschaffenheit der Böden und über physikalische und chemische Eigenschaften des Untergrundes von Borg. Nicht nur die Erde ist dort anders als anderorts, auch die Bewohner unterscheiden sich von gewöhnlichen Erdenbürgern. Borg-Leute, so kann man einer Zeichnung entnehmen, verfügen über einen stark vergrößerten Nucleus accumbens. Dabei handelt es sich um…