Leoluca Orlando – Die Manifesta post Mafia
Ein Gespräch mit dem Bürgermeister von Palermo
von Heinz-Norbert Jocks
Leoluca Orlando, der 1947 geborene Bürgermeister von Palermo, ist einer der vorbildhaftesten Persönlichkeiten in Europa. Man fragt sich unwillkürlich, wo er den Mut hernahm, sich mit der Mafia anzulegen, sie soweit zurückzudrängen und zu bekämpfen, dass Touristen heute keine Angst mehr vor ihr zu haben brauchen. Ich sollte der Nächste sein, heißt seine Autobiographie (2002). Darin schildert er, wie Freunde um ihn herum getötet wurden und er als Einziger überlebte. Wie sehr sich die Lage seit damals entschärft hat, lässt sich an der Zahl seiner Bodyguards ablesen. Waren früher zwölf an seiner Seite und ein eigener Notarztwagen in Reichweite, wird er heute nur noch von zweien beschützt. Obwohl sein Terminkalender es eigentlich nicht zulässt, nimmt er sich viel Zeit für das Gespräch. Zu diesem trifft er sich in der Villa Niscemi im riesigen Parco della Favorita, welche die Stadt in den späten 80ern von einem alten Adelsgeschlecht erworben hat. Wir unterhalten uns auf Deutsch, einer von fünf Sprachen, die Orlando beherrscht. Doch ehe der Besucher durch einen weiten Saal mit Flügeltüren zu ihm geführt wird, genießt er von einer blau gekachelten Terrasse aus den wunderschönen Ausblick auf den üppigen Baumbestand der Parkanlage. Orlando nimmt Platz an einem hölzernen Schreibtisch, hinter dem ein hohes, mit Fotos versehenes Regal voller Bücher steht.
Ungewöhnlich für einen Bürgermeister sind die Themen, die man anschlagen kann. Er verfügt nicht nur über eine praktische Vernunft, sondern ist auch philosophisch gebildet. Nach…