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Titel: Leonardo im Labor. Kunst & Wissenschaft im 21. Jahrhundert · von Sabine B. Vogel · S. 50 - 51
Titel: Leonardo im Labor. Kunst & Wissenschaft im 21. Jahrhundert ,

Leonardo im Labor

Kunst & Wissenschaft im 21. Jahrhundert

herausgegeben von Sabine B. Vogel

Kunst und Wissenschaft – zwei konträre Welten oder Wahlverwandte? Bis heute gilt Leonardo da Vinci als Inbegriff dieser Kombination, als genialer Maler und gewiefter Erfinder für Waffentechnik bis Wasserwirtschaft. Anders als der Renaissancekünstler entwerfen Künstler*innen heute innovative Apparate, die ins Feld der Kunst gehören, Malmaschinen oder kinetische Skulpturen. Wo aber wird Kunst & Wissenschaft vereint? Einen radikalen Schritt gehen Künstler*innen, deren Werke unter den Begriffen Science Art und Künstlerische Forschungen kategorisiert werden. Ihre Werke basieren auf Experimenten und Erforschungen mit Insekten bis zu lebenden Zellen, Oron Catts etwa entwickelt Kleidung aus Gewebekulturen und semi-lebende Skulpturen. Ein transgenes Moos, das Licht emittieren kann, stammt von Jun Takita und Svenja Kratz thematisiert in ihrem langjährigen Projekt das Leben jenseits des Todes. In multidisziplinären Forschungsprojekten fügt die Sprache der Kunst der Wissenschaft eine neue, weit über visuelle Umsetzungen hinausgehende Ebene hinzu, wenn Ursula Damm mit der Neurowissenschaftlerin Birgit Brüggemeier etwa anhand von Insekten-Installationen unsere Hörgewohnheiten aufbricht, „um die Sphäre unseres (ästhetischen) Verständnisses zu erweitern.“ Künstler*innen benötigen bei ihren Experimenten und Erfindungen kein Verifizieren und Falsifizieren von Hypothesen, sie können sogar simulieren und fabulieren, um neue Grenzen abzustecken. So fragt Alexandra Daisy Ginsberg in ihrem Projekt „Designing for the Sixth Extinction“, wie die Wildnis in einer synthetischen biologischen Zukunft aussehen könnte und entwirft dafür fiktive Werkzeuge.

Solche Projekte verantwortet nicht ein einzelnes Genie a lá da Vinci, sondern ein multidisziplinäres Team. Oft kooperieren Künstler*innen dafür mit Wissenschaftler*innen, manche verlegen ihr Atelier gänzlich ins Labor.

Wo und wann beginnt diese Entwicklung, welche Begriffe sind dafür gültig? Sehen sich heutige Künstler*innen überhaupt als Erfinder? Diesen Fragen gehen wir in einem Einleitungsessay von Sabine B. Vogel, mit theoretischen Essays, Interviews mit Künstler*innen und Theoretiker*innen nach. Alexander Damianisch erläutert den Begriff der Künstlerischen Forschung, für den Lutz Hengst als Alternative „Spurenkunst“ vorschlägt und im Gespräch erklärt. Hengst sieht eine klare Nähe zu da Vinci: „Doch in dem Punkt der Überschneidung ausgeprägten Forschergeistes mit künstlerischer Produktivität bleibt Leonardo sicher eine Leitfigur.“ Peter Weibel nennt im Interview Science Art eine „neue Form des Verwissenschaftlichen der Kunst“ und Medientheoretiker Jens Hauser zeigt uns mit kritischem Blick die Genealogie der Bio Art: „Wenn Kunstschaffende heute angesichts des Anthropozäns, bedrohter Biodiversität und viraler, mutmaßlich via Zoonosen menschengemachter Pandemien in der Praxis biotechnologisch arbeiten, dann betonen sie vor allem ein Lebenskontinuum, in welchem das Spektrum menschlicher Handlung durch das mikroperformative Handlungspotential nicht-menschlicher Akteure konterkariert wird.“ Auf die Frage nach dem Interesse an Wissenschaften stellt der Künstler Thomas Feuerstein im Interview klar: „Was meine Arbeit mit Naturwissenschaft verbindet, ist Realitätsleidenschaft.“ Martin Walde sieht den Kern seiner künstlerischen Arbeit nicht im Erfinden, sondern im „prä-inventiven Entwickeln“. Gerfried Stocker vom Ars Electronica Center beantwortet die Frage nach heutigen da Vincis: „Man kann in jeder Epoche da Vincis finden, dafür mussten die Künstler immer tief in das technische Verständnis eintauchen.“ Zu jedem Kapitel steuern Kathrin Busch, Zhang Ga und Sabine Himmelsbach ausführlich kommentierte Bildstrecken bei.