Prozesse interessieren mich mehr als Konzepte
Carolyn Christov-Bakargiev Leiterin der dOCUMENTA?(13), im Gespräch mit Georg Imdahl
Georg Imdahl: Frau Christov-Bakargiev, laut Boris Groys ist die Ausstellung heute die „Grundeinheit“, die „Existenzform“ der Kunst. Tatsächlich sprechen wir über Kunst sehr häufig in bezug auf bestimmte Ausstellungen. Stimmen Sie Groys’ Befund zu?
Carolyn Christov-Bakargiev: Ja. Aber dies ist eine historische Erscheinung. „Zeitgenössische“ Kunst ist eine Bewegung des 20. Jahrhunderts, und es ist auch ein sehr junger Begriff aus dem späten 17. Jahrhundert. Die Ausstellung ist das Modell, der Raum, in dem das Geschehen stattfindet, und das ist sogar eine noch jüngere Vorstellung. Sie verbindet sich mit der Ausbreitung der Demokratie, dem Umstand, dass der Louvre, das erste öffentliche Museum überhaupt, nach der Französischen Revolution für alle zugänglich gemacht wurde. Dies entwickelte sich weiter und wurde dann der bestimmende Modus im 20. Jahrhundert. Doch schon im 19. Jahrhundert hatte man den Salon und die Erfindung der Einzelausstellung, die wohl auf Manet zurückgeht. Manet war ganz einfach unzufrieden mit den Gruppenausstellungen, da seine Gemälde stets zu hoch hingen. So mietete er eine entwidmete Kirche, machte eine Einzelausstellung parallel zum Salon und lud Zola und seine Freunde ein, Texte dazu zu schreiben. Das war meines Wissens die erste Einzelausstellung, sie enthielt etwa 60 Gemälde. Es gibt dieses Phänomen Ausstellung also, aber es ist begrenzt auf einen relativ kleinen Zeitraum von zwei oder drei Jahrhunderten. Menschen haben immer Kultur reorganisiert. Lorenzo di Medici paarte Olivenöl mit antiker römischer Skulptur. Ich stimme zu, was die angebliche „Normalität“, die…