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Magazin · S. 438 - 439
Magazin , 2007

Rainer Metzger
Relektüren

Folge 22

Michel Foucaults „Les mots et les choses“, auf deutsch bekannt als „Die Ordnung der Dinge“, gilt als erster Bestseller der Diskursliteratur. Im ersten halben Jahr seines Erscheinens gingen gleich 20.000 Exemplare über den Ladentisch, und es stellt sich die Frage, wer das eigentlich hatte lesen sollen, damals im Sommer 1966. Womöglich war die Lektüreabsicht ein großes Missverständnis, doch die These war ja griffig, und sie verdichtete sich so schön im sehr zitablen Schlusssatz: Man könne, so fasste Foucault zusammen, „sehr wohl wetten, daß der Mensch verschwinden wird wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.“

Die Verwegenheit dieser Wette war sicherlich eines der Erfolgsgeheimnisse dieses Buches. Vielleicht gibt es aber auch noch ein anderes, und es stünde der Prophezeihung von der Auflösung des Humanen doch ziemlich diametral gegenüber. Ein Jahr davor hatte es in Frankreich einen anderen Bestseller gegeben, es war ein simples Lied, hieß nach dem Namen der darin Angebeten „Aline“ und stammte von einem Chansonnier namens Christophe. Hier die erste Strophe im französischen Original: „J’avais dessiné sur la plage/son doux visage qui me souriait./Puis il a plu sur cette plage/dans cet orage elle a disparu.“ Das ist mit fast den gleichen Worten dasselbe, was auch Foucault sagte, und es kann schon sein, dass sich das eine, von vornherein Hitparadentaugliche, vor das andere, etwas unkonventioneller Gedachte, schob, als es darum ging, sich in der Kunst des Verschwindens zu üben. Bei aller Ungewöhnlichkeit konnte sich Foucault auf einen ganz gewöhnlichen Mechanismus verlassen, und er handelte nicht vom Ende des…


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