Walter Vogel
Wien: Die Stadt als Ausstellung und Beisl
Im Heissluftballon übers Korallenriff
Es ist wohl immer schon ein Merkmal der Metropolen gewesen, daß sie aus sich selbst heraus nicht lebensfähig sind, sondern daß ihre eigentliche Stärke darin besteht, durch den von ihnen entfachten Sog das Heterogene anzuziehen, um es sich in einem Prozeß der Umwandlung anzueignen. Davon haben Städte wie Wien und Paris ebenso gezehrt wie New York. Es war und ist das ein Vorgang voll anonymer Gewalttätigkeit, der im zum namenlosen Fremdling degradierten Zugereisten ungeheure Selbstbehauptungsenergien freisetzt. Durch den Zerfall des Reiches und den vom Nationalsozialismus erzwungenen Exodus eines Großteils der jüdisch, tschechisch, ungarisch verwurzelten wissenschaftlichen und künstlerischen Intelligenz ist Wien dieser Energien verlustig gegangen und zum überdimensionierten Dorf regrediert, dessen Bewohner unter sich bleiben wollten und es daher nicht nötig fanden, die ins Exil Geflohenen zurückzuholen. Wo man sich anderwärts in qualvollen Prozessen der Auseinandersetzung mit sich selbst neu zu definieren versuchte, sah sich der Wiener schon durch seine bloße Existenz definiert. Als Verwalter eines gar nicht zu bewältigenden kulturellen Erbes und als Bewohner verlassener Herrschaftshäuser verstand sich auch der Kleinbürger als Herr. Obwohl längst abgedriftet in ein von Geistern und Schemen der Vergangenheit bewohntes Zwischenreich, hielt man sich immer noch für den Mittelpunkt der Welt. Viel eher befand man sich im Zentrum einer lähmenden Windstille, die man umdeutete als Zeichen der eigenen, unerschütterlichen Überlegenheit. Die per definitionem nicht existierenden Widersprüche, die die Welt bewegten, scherten sich wenig darum, sondern überschritten unbemerkt und am hellichten Tage die Grenzen, um…