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Titel: Die Kunst der Selbstdarstellung · von Irene Schubiger · S. 112 - 119
Titel: Die Kunst der Selbstdarstellung , 2006

Irene Schubiger
Zwischen Performance und Self-editing

Selbstdarstellung in der Videokunst der 70er- und 80er-jahre 1

Der elektronische Spiegel

Wichtig ist, um die künstlerische Erfindung innerhalb der Selbstdarstellung mit Video zu verstehen, sich die Künstler in der Apparate-Disposition zu vergegenwärtigen. Eine Videokamera wird mit einem Monitor verbunden. Aufgrund der unverzögerten Rückkoppelung kann sich die Künstlerin oder der Künstler sogleich seitenrichtig auf dem Monitor sehen. Diese Disposition wird seit den Anfängen der Videokunst als elektronischer Spiegel beschrieben. Damit ist eine Parallele zur Bedeutung des Spiegels für das Selbstporträt in der Malerei oder Zeichnung angedeutet.

Der Spiegel war für Künstler seit jeher das Hilfsmittel, um sich unmittelbar ins Gesicht sehen zu können und danach die Gesichtszüge auf Leinwand oder Papier zu übertragen. Der Blick in den Spiegel und derjenige auf die Leinwand sind dabei zwei getrennte Vorgänge. Das eigene Sehen muss “gleichsam blind in das beobachtete und dargestellte Aussehen”2 eingesetzt werden. Nur mittels des Spiegels als vermittelnde Instanz, über etwas ausserhalb von uns, das nicht “Ich” ist, vermögen wir auf uns zurück zu blicken. Das bedeutet jedoch nicht, dass das eigene Aussehen im Spiegel und die Selbsterfahrung, an der zusätzliche Sinnesleistungen beteiligt sind, sich decken. Die im Spiegelbild teilweise gelingende Objektivierung stimmt nicht mit der Innenerfahrung überein und erzeugt Fremdheit gegenüber dem eigenen Abbild3. Erst im fortgeschrittenen 16. Jahrhundert gelingt es den ersten Künstlern in Werken, die das Selbstporträt als authentische Gattung begründen, innerhalb des Festhaltens äusserer Gesichtszüge auch die Innenerfahrung mit darzustellen.

Das gemalte oder gezeichnete Selbstporträt entsteht in einem meist langwierigen, einsamen Prozess, der…


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