Michael Stoeber
Alice Springs
»People«
Kestnergesellschaft Hannover, 25.11.2011 – 5.2.2012
Zur Fotografie kam sie wie die Jungfrau zum Kind. Durch eine Art höherer Fügung. Ihr Mann Helmut Newton sollte 1970 eine Werbekampagne für die Zigarettenmarke „Gitanes“ fotografieren. Aber er lag an dem Morgen des Shootings erkältet im Bett. Also schickte er seine Frau June. Er erklärte ihr vorher kurz, wo man auf den Auslöser drückt und wie man einen Film in die Kamera einlegt. Die Werbefirma hatte ihr Einverständnis zu dem fliegenden Wechsel gegeben, vorausgesetzt, sie könnte die Fotos bei Nichtgefallen zurückgeben. Aber June Newton machte ihre Sache gut. Wie gut, kann man jetzt in einer Übersichtsschau mit Werken der Fotografin aus etwa vierzig Jahren in der hannoverschen Kestnergesellschaft studieren.
Der Mann, der für die Zigarette Reklame macht, ist eine hervorragende Wahl, um den Charakter der starken, filterlosen Zigarette zu symbolisieren. Und hervorragend rückt June Newton ihn auch ins Bild. „Gitanes“ heißt im Deutschen Zigeuner. Darauf deutet in diskreter Weise der südländische Typus des Mannes hin: Schwarze Locken, dunkle Augen, ein goldener Ohrring, ein Fellmantel. Trotzdem ist er mit seinen kantigen, entschlossenen Gesichtszügen nicht effeminiert. June Newton fotografiert ihn auf der Straße, quasi en passant, die Zigarette lässig im Mundwinkel, exzellent ausgeleuchtet, in nüchternem Schwarzweiß und völlig ohne Pose. Den Mann umweht dabei eine Aura von Freiheit und Unabhängigkeit, Selbstsicherheit und Stärke, die ihn sehr attraktiv macht und sich wie selbstverständlich auf die Zigarette überträgt, die er raucht. June Newton erfüllt ihren Auftrag perfekt und hat für sich gefunden, was sie auch in…