Michael Hübl
Die Flamme der Finanz-Melancholie
Vom Run auf Richters „Kerze“ und von der Jagd auf Fälscher
Sie brennt. Anders als ihre bleichen Schwestern aus der Gattung der wächsernen Vanitas-Motive steht sie weder als stumpfer Stummel neben einem toten Fisch, auf den Verzehr oder Verwesung warten, noch ragt sie mahnend neben einer Vase voller Blumen auf, um mit schwarzem, starrem Docht daran zu erinnern, dass Blüte Lüge ist, zumindest mit Blick auf das Leben und seine Vergänglichkeit. Nein, die Kerze die Gerhard Richter seit Anfang der 1980er-Jahre wiederholt gemalt hat, brennt. Wohl droht auch ihr, und mag sie noch so leuchten, das Aus: Sie schmilzt dahin, erlischt und ist nicht mehr. Gelegentlich hat Richter diesen Aspekt sogar herausgehoben, indem er ihr einen graubraun verschatteten Totenschädel hinzugesellte und anzeigte, dass Kerzen, gleich welchen Wärmegrads immer auf ein Ende vorausdeuten, sei es nah oder fern. Mit Aussicht auf finale Änderung des Status quo hat man sie in der Bundesrepublik zeitweise sogar als Hoffnungszeichen eingesetzt: Während des Kalten Kriegs stellten politisch motivierte Bürger vor Weihnachten brennende Kerzen in die Fenster ihrer Häuser und Wohnungen, um Solidarität zu signalisieren und Mut zu machen – Advent, Advent, die DDR ist bald am End‘. Es heißt, Richters „Kerze“ sei eine Anspielung auf diese Praxis flammenden politischen Bekenntnisses 1. Auf jeden Fall aber ist sie geeignet, den Kunstmarkt zu befeuern. Bereits 2008 hieß es anlässlich einer Londoner Versteigerung „Richter’s Kerze burns very bright“2; damals kam eine Version des Motivs für insgesamt 7.972.500,00 GBP bei Sotheby’s London unter den Hammer3….