Thomas W. Kuhn
art berlin contemporary – Preview – Kunstsalon – Berliner Liste
5.10.-10.10.2010
Gleich zweifach gab es in diesem Herbst Anlass in den Berliner Westen zu reisen, denn nicht nur das art forum fand hier auf dem Messegelände statt, sondern auch die Messe, die keine sein will, die art berlin contemporary, kurz abc. Als die abc 2008 aus der Taufe gehoben worden war, wurde sie anfänglich von vielen kritisch als Konkurrenzveranstaltung zum Art Forum angesehen. Zahlreiche renommierte Berliner Galerien der ersten abc hätte man lieber als Teilnehmer in den Ermisch-Hallen der Messe begrüßt, anstatt zwei Wochen vorab mit eigenem Konzept im ehemaligen Postbahnhof am Gleisdreieck.
Die Nachfolger der engagierten Messedirektorin Sabrina van der Ley, die Ende 2008 an die Hamburger Kunsthalle wechselte, konnten sich dann im Folgejahr 2009 über eine erste Abmilderung der Konkurrenzsituation freuen, denn die abc fand nun zeitgleich, wenn auch im Hansaviertel in der Akademie der Künste, statt. Dieses Jahr entdeckten die Macher der abc nun das Marshall-Haus auf dem Messegelände für sich und so trennte heuer nur mehr der große Senkgarten inmitten des Messegeländes die beiden vis-a-vis gelegenen Veranstaltungen und ein Ticket ermöglichte den Zugang zu beiden.
Wer sich vorab über die abc informierte, konnte befürchten, im Stil der Documenta11 oder der letzten Berlin Biennale zahlreiche Stunden in dunklen Räumen oder vor Monitoren mit eher dokumentarischen denn künstlerischen Arbeiten sitzend oder stehend zu verbringen. Diese Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. Durch die Integration weiterer Medien und Installationen gelang Marc Gloede ein sehr sinnlicher Zugang zum Thema. Und ihm gelang darüber hinaus, dass für dieses Thema eigentlich ungeeignete Gebäude zu nutzen, das eine wesentliche Eigenschaft mit Glasvitrinen der fünfziger Jahre teilt – Durchsichtigkeit. 61 Galerien nahmen an der Veranstaltung teil, die zum Teil auch direkt für Beiträge vom Kurator angesprochen worden waren. Die wurden ohne didaktischen Zwang nach thematischen Schwerpunkten geordnet, die ein inhaltliches Durcheinander verhinderten.
Unter den Galerien fanden sich auch eine ganze Reihe von Teilnehmern des art forums wieder. Gar zwei der drei Repräsentanten der abc nahmen daran teil, Esther Schipper und Alexander Schröder/Galerie Neu. Gezeigt wurden nicht nur frisch produzierte Werke, sondern auch manches aus vorangegangenen Jahrzehnten. Dazu gehörten wohl auch regelrechte Entdeckungen wie Hanne Darbovens (1941-2009) Film “4 Jahreszeiten Film 1-6” von 1968, kombiniert mit Grafiken der Künstlerin, ein Beitrag von KLOSTERFELDE. Ein Beispiel für die offene Auslegung des Veranstaltungsschwerpunkts war die Collagenserie “Les tâches dominicales” Astrid Kleins (*1951) von 1980, eine Reflektion über den Fotoroman, gezeigt von Sprüth Magers. Auch die Galerie Nils Staerk aus Kopenhagen stellten eine fotografische Arbeit bereit, “Ten Variations of Light” von Miriam Bäckström (*1967). Die Fotos aus dem Jahr 2000, in einer von innen beleuchteten Vitrine, belegen die Stimmungsunterschiede ein und desselben Raumes bei 10 unterschiedlichen Beleuchtungssituationen. Dem Thema der Szenografie entsprachen dann auch die Lampen Jorge Pardos (*1963) und Olafur Eliassons (*1967), die neugerriemschneider zur Verfügung stellte. Einer bühnenhaften Inszenierung folgte Pavel Büchlers (*1952) Installation “Life & Opinions” von 2004, vertreten von Tanya Leighton, Berlin. Auf einem ellipsenförmigen Beistelltisch lag unter anderem eine Glühlampe, die abwechselnd an und aus ging und deren Glühfaden, wenn unter Strom, eine Stelle auf einer Buchseite beleuchtete. Auch dem Vorhangmotiv aus Theater und Kino war eine Arbeit gewidmet, Paolo Chiaseras (*1978) “Juliette” von 2010. Entlang einer Stellwand war sein Vorhang gehängt, bedruckt mit diversen Bildmotiven. Wo sich der Vorhang teilte konnte man diesen zur Seite heben und auf ein Foto und ein erotisches Aquarell blicken, das vorher den Augen verborgen war. Der Titel “Juliette” verweist auf den Roman des Marquis de Sade, zu dem Illustrationen des frühen 19. Jahrhunderts existieren, auf die sich die Grafiken bezogen, ein Beitrag der Galerie PSM. Für die Verbindung von Wandmalerei und Film stand “Cybernetics Still Life No. 4” aus 2009 von Stephen Willats (*1943), gezeigt von Thomas Schulte, Berlin. Wie nur wenige andere litt diese Installation tagsüber ein wenig unter dem hellen Außenlicht. Ebenfalls wandfüllend waren die Fotokopien letzter Worte von Hinrichtungskandidaten in Wolfgang Plögers (*1971) Werk “To the Point”, die auch einen Film umfasste, der alle Schlusspunkte der Umschrift ihrer letzten Worte ablichtete, gezeigt von der Galerie Konrad Fischer. Auch die Galerie nächst St. Stephan zeigte minimalistische Projektionen von Joëlle Tuerlinckx (*1958), Meditationen über den Abbildbezug des Films von 2010. Die Relation Ton und Bild führte ein Werk Via Lewandowskys (*1963) vor. ” Pain of Infinity” bestand aus einem unbelichteten Film der als Schleife sowohl durch einen Projektor lief, wie auch unter einer Plattenspielernadel hindurch, die sukzessive die Filmoberfläche zerkratzte und somit das projizierte Bild parallel zum laut verstärkten Kratzen der Nadel beständig veränderte. Hinter diesem Beitrag stand die Galerie Cream Contemporary aus Berlin. Hochelegant schließlich Rosa Barbas (*1972) Installation “Stating the Real Sublime” bei dem der projizierende Projektor am laufenden Film selbst befestigt von der Decke herabhing gezeigt von carlier|gebauer. Im Übrigen nutzte man das Theater Hebbel am Ufer um Filme und Performance-Aktionen mit Bezug zum Thema zu zeigen.
Die Repräsentanten der abc zeigten sich zur Pressekonferenz stolz auf ihre Entdeckung des Marshall-Hauses als Austragungsort. Dennoch wurde ausdrücklich betont, dass man auch weiterhin am nomadisierenden Prinzip festhalten wolle und demnach in 2011 einen anderen Ort bespielen will. Allerdings würden beide Veranstaltungen, die abc und das art forum auch weiterhin davon profitieren, nicht nur zeitlich, sondern auch örtlich verbunden zu sein. Aber schließlich muss auch der Ort zum Thema passen und für üppige Installationen und große Skulpturen wäre das Gebäude sicher falsch.
Preview
Nachdem im letzten Jahr die alte Abfertigungshalle des Tempelhofer Flughafens für die 5. Preview mit einem offenen Raumkonzept genutzt worden war, ging man in diesem Jahr in den Hangar 2 zurück, der schon in 2008 Schauplatz der Messe gewesen war. Die 60 Teilnehmer wurden in gleichgroßen Kojen auf fünf Gänge, inklusive Lounge, verteilt – 6500 Euro kostete ein Stand. Offen wurde bei der Pressekonferenz von den drei Direktoren Kristian Jarmuschek, Rüdiger Lange und Ralf Schmitt der Kostendruck angesprochen, dem gerade junge Galerien, Galerien mit jungem Programm und Galerien aus wirtschaftlich schwächeren Regionen ausgesetzt sind. Hauptkostentreiber sei die Standarchitektur, zu der man schon im Vorjahr eine Alternative gesucht habe. 2011 will man nun ein nicht im Detail skizziertes Konzept realisieren, das gemeinsam mit Studenten entwickelt wurde. Andeutungsweise war die Rede von Bühnenbildern und Theatern, auch von einer möglichen Reduktion der Teilnehmer unter den Bedingungen einer neuen Messearchitektur.
Den weitesten Weg legte in diesem Jahr die Fotogalerie G/P aus Tokyo zurück, die in Japan das Yokohama Photo Festival veranstalten. Auch der Londoner Veranstalter von “The Future Can Wait”, Zavier Ellis, kam mit seiner Galerie Charlie Smith und zeigte u.a. delikate Ölgemälde von Sam Jackson (*1977). Aus London kam darüber hinaus Riflemaker mit abstrakten Bildern des Schriftstellers William S. Borroughs. Die norwegische Galeristin Maria Veie ließ vom Künstler Frido Evers (*1980) ihre Koje zu einer Art Boot umbauen und stellte wie die meisten anderen darin im Dienste der Übersichtlichkeit nur vier Künstler aus. Die Züricher Galerie WIDMER+THEODORIDIS zeigten an ihrem elegant gestalteten Stand u.a. neue Scherenschnitte von Stefan Thiel (*1965), von dem auch eine Ausstellung in der Galerie SEPTEMBER, Berlin, während der Messetage eröffnet wurde. Ähnlich elegant gelöst war der Stand der Galerie Wagner durch farbige Fassung der Stirnwand mit einem großen Linolschnitt von Claas Gutsche (*1982), dass eine typische Siedlung aus der NS-Zeit mit ihrer atmosphärischen Ambivalenz vorstellt. Malerei im mittelgroßen Format zeigten Equrna aus Ljubljana mit einer Soloshow von Mitja Ficko (*1973), Landschaftsausschnitte als vielfarbige Halluzination. Eine extreme Raumerfahrung bot Martin Pfeifle (*1975) am Stand der Galerie Kunsthaus Erfurt mit grellfarbenen Papierbahnen, gegen die sich die Werke der anderen beteiligten Künstler erst einmal behaupten mussten, aber auch konnten, wie die Porzellanskulpturen Nadine Wottkes (*1978). Als einzige Galerie aus dem Rheinland kam die Galerie Börgmann aus Krefeld, wiederum mit Malerei u.a. von Roger Wardin (*1971).
Innerhalb eines offenen Projektbereichs ohne Stellwände im hinteren Teil der Messe präsentierte Francesco Pantaleone aus Palermo eine kleinteilige Installation von Adrian Hermanides “Alms for the birds”, eine Fundgrube für assoziative Gedankengänge.
Unter den Ausstellern befanden sich auch Institutionen die Künstler vorstellten, wie die Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt oder die Bauhaus-Universität Weimar. Und bei den zugelassenen Künstlerprojekten fanden sich erstmals dieschönestadt aus Halle/Saale und aus Berlin Scotty Enterprises, das nach seiner Gründung 2006 im Folgejahr den ersten Auftritt außerhalb eigener Räume auf dem Kunstsalon hatte und somit für den Austausch zwischen den Messeformaten stehen.
Berliner Kunstsalon
Nach dem Start in 2004 fand der inzwischen 7. Berliner Kunstsalon auf dem Gelände des Alten Schlachthofs eine neue Heimat. Edmund Piper (*1971), der Gründer und bisherige Leiter der Messe, übergab für dieses Jahr die Leitung an Roland Klümpen und konnte sich somit auf die Präsentation seiner eigenen künstlerischen Arbeiten konzentrieren, vor allem Fotografien, die auf poetische, zugleich konzeptuelle Weise, um das Thema der Grenzerfahrung kreisen. Überhaupt gab es einige sehenswerte fotografische Positionen, so auch Neopus (*1975) mit Blumenstillleben in barocker Manier, die unter Zuhilfenahme eines Scanners entstanden sind oder die unwahrscheinliche Ansicht einer Küche von unten am Stand von RoSpeRo, ein am Computer komponiertes Bild von Michael H. Rohde (*1960).
Abwechslungsreich war auch die Malerei vertreten. Galerie Kuhn & Partner (nicht verwandt mit dem Autor dieses Texts), deren Kunst am Stand Sexualität von verschiedenen Seiten betrachtete, stellten u.a. mit Karl Kunz (1905-1971) den wahrscheinlich ältesten Künstler der Messe aus: ungewöhnliche Verbindungen erotischer Motive mit abstrakt-ornamentalen Formen. Anscheinend italienisch inspirierte Landschaftsmotive steuerte Denise Richardt (*1972) bei, Meisterschülerin von Dieter Goltzsche. Gleich benachbart hingen die abstrakten Bilder Annelen Käfersteins (1973), Meisterschülerin von Henning Kürschner an der HdK in Berlin, mit sicherer Beherrschung des Formats und der Farben.
BERLINER LISTE
Eine ganz eigene Entwicklung hat die Berliner Liste von Wolfram Völcker genommen. 111 Galerien und Künstler kamen in zwei stark vom Alter gezeichnete Gebäude der Alten Münze in Berlin Mitte und waren durch einen Rundgang miteinander verbunden. Die mit Abstand spannendste Galerie war allgirs aus Berlin. Eine hier ausgestelltes Gemälde Astrid Küvers (*1969) schaffte es sogar bis in die Liste der Kaufempfehlungen des Kunstmagazins Monopol. Nicht weniger sehenswert waren die bei allgirls präsentierten Editionen. Der Rest entsprach kaum dem, was auf dem art forum, der abc, der Preview und selbst dem Kunstsalon zu sehen war. Weiter könnte die Berliner von der Basler Liste kaum noch entfernt sein.