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Gespräche mit Künstlern · von Doris von Drathen · S. 208 - 221
Gespräche mit Künstlern , 2003

CRISTINA IGLESIAS
DIE HAUT DER ANDEREN SEITE

EIN GESPRÄCH MIT DORIS VON DRATHEN (IM ATELIER, MADRID AM 17. MAI 2002)

Wir stehen vor einer ihrer neuesten Arbeiten – eine Reihe von zwei Meter hohen, einen Meter breiten hochpolierten Aluminiumtafeln, auf denen ein Labyrinth von sonderbar windschiefen Portalen, schattigen Raumfolgen, halbverstellten Durchblicken, Pfosten und Pfeilern serigraphisch projiziert ist. Stehen wir aber davor? Eigentlich befinden wir uns mitten im Bildgeschehen, sind gespiegelt Teil der ungeheuerlichen Straßenzüge und verschachtelten Behausungen; gespiegelt sind auch die Bäume hinter uns, das belaubte Weindach über uns. Denn die großen Bildtafeln hat Cristina Iglesias für ihr eigenes Haus als verschiebbare Fensterläden konstruiert. Sie verschließen also als Blickschranke die Öffnungen der Fassade, versiegeln Transparenz, reflektieren die Umgebung und geben gleichzeitig den Blick frei in fremde Raumfluchten. Die Beweglichkeit der Spiegel, die Möglichkeit, sie zu verschiedenen Bildern zusammenzuschieben, erhöht das Ephemere dieser auftauchenden Städte. Hier und da stehen Buchstaben an den Wänden, formen sich zu Worten wie “Mad” oder “Destin”, Wortfetzen, die wie Schreie durch die hohlen Gassen zu gellen scheinen.

Die skulpturalen Orte, die Cristina Iglesias seit der Mitte der 80er Jahre schafft, haben etwas von unheimlichen Durchgängen, in denen Trugbilder auftauchen, hohle Gassen und Engpässe, und von denen niemand weiß, welche Welt auf der anderen Seite wartet. Die Bildhauerin baut mit jeder Arbeit einen Raum im Raum, verbindet zweidimensionale Bilder mit Skulptur, umfängt den Betrachter gänzlich in der imaginären Welt, die sie aufspannt. Immer aber entsteht diese Illusion aus einer physischen Konstruktion – für die Serigraphien werden Modell-Labyrinthe aus Kisten gebaut,…


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von Doris von Drathen

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