Florian Rötzer
III. Rebellion gegen den Schein
Die Readymades von Duchamp stellten wohl zum ersten Mal im Bereich der Kunst die Frage, die jeder philosophischen Ästhetik der Gegenwart auch zugrundeliegt: Was ist das Kunstwerk? Was ist seine Minimalbedingung? Welche Voraussetzung muß etwas Beliebiges erfüllen, um als Kunst anerkannt zu werden, um ästhetische Erfahrung freizusetzen? Allein schon durch diese in der Kunst, als Kunst, aber auch als Kunstverweigerung gestellte Frage, die ohne Antwort blieb oder, anders gesagt, zu zahllosen Antworten führte, ist das über Kant und Max Weber vermittelte und zugleich als Norm der Verpflichtung auf Rationalität verwendete Theorem der in der Moderne erfolgten Ausdifferenzierung der Geltungssphären in eigensinnige Expertenkulturen, wie es von Jürgen Habermas in normativer Absicht vertreten wird, haltlos, was die Kunst selbst anbelangt, auch wenn zunächst dafür zu sprechen scheint, daß – wie immer nachträglich – die ästhetische Geltungssphäre und die sie tragenden Institutionen alle Entgrenzungen und Aufkündigungen der Kunst schließlich integriert haben. Zeugt das von der Autonomie der Kunst, die – negativ – kolonisierend in die Lebenswelt einbricht, um alles zu ästhetisieren und zu musealisieren, oder von deren Schwäche, weil letztendlich keine triftigen Gründe zu einer definitiven Grenzziehung zwischen Kunst und Nicht-Kunst vorliegen? Auch wenn Habermas die Kunst als Reservat für den authentischen Ausdruck jener Erfahrungen erklärt, die ein “begabter” Künstler “im konzentrierten Umgang mit einer dezentrierten, von Zwängen des Erkennens und Handelns losgesprochenen Subjektivität macht”, dann steht Kunst nicht nur dafür als Kompensation ein, was in der Theorie der kommunikativen Vernunft keinen Platz findet, sondern dann wird…