Bernhard Lypp
Über das Verhältnis von Kunst und Leben – nach Nietzsche
Nietzsches Lehrgedicht über das Verhältnis von Kunst und Leben, als das wir seine Tragödienschrift zu nehmen haben, ist als eine rätselhafte Verbindung metaphysischer Daseinsdeutung mit der symbolischen Vergegenwärtigung dieser Daseinsdeutung konzipiert. Erst aus dieser Verbindung entsteht nämlich ein tragisches Gleichnis der Welt. Die ausgeführte Schrift über die Bedeutung der Tragödie hat gerade wegen dieser rätselhaften Verbindung den Nimbus des Esoterischen erreicht. Sie präsentiert sich ihrem Leser nämlich in einer Form, die durch das systematische Verschwimmen dieser beiden Bedeutungshorizonte gekennzeichnet ist. Metaphysische Daseinsdeutung und der symbolische Prozeß des Tragischen mögen der bekannten Unterscheidung von Katharsis und Mimesis aus der aristotelischen Tragödiendefinition nachempfunden sein, in Wahrheit will Nietzsche diese Unterscheidung aber hinfällig werden lassen. An die Stelle dieser Unterscheidung hat er in seiner Tragödienschrift die Rede von einem ästhetischen Gleichnis der Welt gesetzt. Im Folgenden sollen nur die Perspektiven thematisch sein, in denen sich nach Nietzsches Meinung ein solches Gleichnis der Welt als ein symbolisches Verhältnis realisiert. Um diese Perspektiven verstehen zu können, ist es aber notwendig, die Daseinsdeutung kurz zu kennzeichnen, die das symbolische Verhältnis des Tragischen schließlich transportiert.
I.
Den Rahmen der Daseinsdeutung, die sich zu einem Gleichnis der Welt verdichtet, bezeichnet Nietzsche anhand der bekannten Begriffsopposition des “Dionysischen” und “Apollinischen”. In diese Begriffsopposition ist ein Verhältnis der Entzweiung eingerahmt, das man als Selbstentzweiung des Lebens zu verstehen hat. Insofern sich diese Entzweiung aber als Doppelsinn des “Dionysischen” und des “Apollinischen” begreifen läßt, ist mit einer tragischen Daseinsdeutung die Irrealisierung faktisch…