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Titel: Vilém Flusser · von Louis Bec · S. 80 - 81
Titel: Vilém Flusser , 1992

Louis Bec
Jeden Samstag …

Wie fast jeden Samstag setze ich mich auf einen kleinen Sessel. Dieser kleine Sessel befindet sich vor einem anderen Sessel – einem großen Sessel, auf dem Vilém Flusser Platz nimmt. Edith ist da, schweigend und aufmerksam. Wie fast alle Samstage seit mehr als 15 Jahren ist es 15 Uhr in Robion. Alles beginnt mit einer chronologischen und genauen Beschreibung unserer Handlungen und Gesten der Woche. Unserer Reisen. Von wichtigen politischen, ästhetischen, ökonomischen, philosophischen, epistemologischen Problemen, die unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Das alles geschieht ähnlich einem Wegwerfen von Ballast, einem Auskehren, wohl um das Gespräch, das dann kommen wird, zu reinigen. Denn jeder erwartete Moment besitzt seine Riten.

Die Lektüre eines Textes – das sind die verschiedenen Kapitel eines Buches oder eines Artikels. Dieser Text besteht im allgemeinen aus vier mit der Schreibmaschine sehr dicht und ohne Absatz beschriebenen Blättern. Vier hautfarbene Blätter, fast transparent, ausgeschöpft durch die perforierende Kraft des Denkens. Spuren eines Willens, die Materie und die Erscheinungen zu durchdringen, um die Präzision des Begriffs zu erreichen.

Vilém beginnt zu übersetzen. Er war solange in seinen Text eingetaucht, wie er imstande ist, ihn zu schreiben, ohne ihn zu lesen. Er ist in seinem Gedächtnis eingeprägt und so von ihm besessen, daß er die größten Schwierigkeiten hat, sich von ihm zu lösen. Auch für mich beginnt eine große Anstrengung, um aufmerksam zu bleiben. Sein Denken hat die Kraft, im Denken der anderen ein unglaubliches Wegenetz zu eröffnen. Ich muß mich daher an der Entwicklung des Sinns…


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