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Ausstellungen: Sion/Sitten · S. 345 - 346
Ausstellungen: Sion/Sitten , 1990

Michael Hübl
Noli me tangere

»Baci und eine Bombe«

Musée des Beaux Arts Sion/Kantonals

Kunstmuseum Sitten, 8.4. – 24.6.1990

Die Bombe ist bald geplatzt. Es hat nicht lange gedauert, bis eine Besucherin Titel, Bitten und Warnungen nicht mehr widerstand. Sie trat auf den Knopf, der durch zwei dünne isolierte Litzen mit einem kleinen Postpaket verbunden war. Fast konnte sie nicht anders, denn sie gehörte zum aufgeklärten Teil des Kunstpublikums: Wie oft hatte sie vielleicht schon im Baseler Kunstmuseum einen der Schalter betätigt, war sie durch das Rattern und Rasseln, das Stampfen, Schnarren, Stoßen der Tinguely-Maschinen rasch und brav bestätigt worden.

In Sitten (Sion) allerdings hatte die Direktion des Kantonalen Kunstmuseums ausdrücklich auf die Gefahr und auf die Tatsache hingewiesen, daß die Schachtel des Künstlers Roman Signer Sprengstoff enthält. Dennoch wurde – durch das Kurzschließen einer 4,5-Volt-Batterie – die Explosion ausgelöst. Das läßt Rückschlüsse zu. Etwa den, daß Ausstellungsbesucher heute pseudodemokratisch konditioniert sind und von vorneherein erwarten, im Museum mitmachen zu müssen – als Erfüllungsgehilfen irgendeiner Form von Entertainment. In der Kunst ist alles möglich: Wer also garantiert, daß die Warnungen der Museumsleitung echt sind und ernst gemeint? Sie könnten doch tatsächlich Teil eines Spiels sein, auf das man sich mit dem Besuch der Ausstellung nolens-volens einläßt. Hat nicht Gadamer dem Spielerischen in der Kunst eine Lanze gebrochen1? Außerdem: Es gibt ein durchaus handgreifliches Empiriebedürfnis von Ausstellungs-, Museums-, Schloß-, Kirchenbesuchern, deren Wahrnehmungsverhalten stark haptisch ausgerichtet ist: Erfassen heißt dann befingern und begreifen wird gleichgesetzt mit antatschen.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß Kunst, die vom Betrachter Zurückhaltung,…


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