Thomas Wulffen
Zwei Welten ?
EUROPÄISCHE KUNST UND KUNST DER DDR
»Wichtig ist festzuhalten, daß historische Signale nicht nur abstrakte Nachrichten sind,
sondern in dem Maße, wie sie ankommen – d.h. sich auswirken -,
zu Ereignissen werden, die ihrerseits wieder Signalcharakter besitzen.
Die Signale bezeugen nicht nur Ereignisse,
sondern sie sind Teile der Geschichte.«
Gottfried Boehm in der Einleitung zu Georg Kubler
„Die Form der Zeit“, Frankfurt 1982, S.17.
Eine Kunst der DDR wird sich selbst im Moment der Auflösung in wesentlichen Zügen von einer Kunst Westeuropas unterscheiden. Auch die Versuche, Gemeinsamkeiten zu entdecken, werden am Problem der Temporalisierung scheitern. Die DDR- Kunst hat sich in unterschiedlichen Phasen entwickelt, die direkt Konsequenz der gesellschaftlichen Entwicklung waren. Diese Entwicklungen aber haben sich bekanntermaßen anders entwickelt als in den westeuropäischen Demokratien. Die Differenz läßt sich an vier verschiedenen Kategorien darstellen: Produktion, Wahrnehmung, Diskurs, Vermittlung.
Produktion
Mit dem Begriff der Produktion soll der Komplex künstlerischer Hervorbringung benannt werden, der sich vor der Wende in der DDR in einem relativ geschützten Reservat vollzogen hat. Die nun offenen Grenzen werden die Situation grundlegend verändern, obwohl dies im Moment nur in Ansätzen zu bemerken ist. Erst nach dem 2. Juli kann sich auf dem Gebiet der DDR ein Kunstmarkt etablieren, der Vergleichbarkeit mit dem westeuropäischen erheischen kann. Dennoch bleiben solche Aussagen erst mal in der Luft stehen, denn auch wenn westeuropäische Galeristen Interesse an einem Standort in der DDR verkünden, so muß abgewartet werden, wer sich tatsächlich niederläßt. Westeuropäische Kunstimporte werden sich auf Dauer als Fremdkörper in einem Umfeld behaupten müssen, das vollkommen andere Voraussetzungen kennt. Denn von postmoderner Begrifflichkeit, sei es bezogen auf das Subjekt der Produktion oder den Bereich der Kulturindustrie, ist wohl kaum ein DDR- Künstler so schnell zu überzeugen, weil er sie letztendlich als Angriff auf seine eigene Begrifflichkeit verstehen muß. In der DDR existiert im eigentlichen Sinne noch ein künstlerisches Subjekt, auch oder gerade wenn dies in den unterschiedlichen Vernetzungen (Beispiel: der Bereich der selbstproduzierten Bücher, in denen sich der Literat mit dem Maler und Zeichner traf) aufzugehen scheint. Gegen das Parteiobjekt mußte sich das Kunstsubjekt behaupten, und es tat dies mit Erfolg. Das aber bedingt eine Ausdruckssprache, in der sich das Subjekt ohne Rücksicht auf Markt und Strategie äußert. Von daher ergibt sich denn auch das expressive Muster, das die Malerei der DDR weitestgehend beherrscht. Konzeptuelle Elemente, die das Kunstsystem selbst thematisieren, kommen in der Kunstlandschaft der DDR genau sowenig vor wie simulative Strategien, die die Realität in Kunst transformieren. Eine Produktion, die mit den Marktgesetzen spielt und sie als Ausdrucksinstrument ausnutzt, ist unbekannt. Das mag nicht verhindern, daß man auf den Markt spekuliert und für ihn produziert, aber das wird kein Spiel sein, sondern harter Kampf, der aus ehemaligen in der Ablehnung des Systems vereinten Künstlern Konkurrenten macht. Wer dabei nicht mitmacht, wird seine eigenen Wege suchen und in eine Art inneres Exil abwandern. Überleben werden die, die sich die Sprache westeuropäischer Kultur so weit aneignen, daß sie sie ohne Schaden in die eigene Produktion übersetzen können. Die Chancen dafür stehen nicht gut. Die Vereinigung wird viele Künstler ins Abseits stellen.
Wahrnehmung
Die alltägliche Realität der DDR wird sich in den kommenden Jahren eindrücklich verändern. Diese Veränderung findet einen symptomatischen Ausdruck in einer vollkommen neuen Situation: Zwischen den zwei Grenzübergängen in Drewitz werben westdeutsche Zigarettenfirmen auf großen Plakatwänden für ihre Produkte. Die Kunst der DDR kam über Jahre hinaus ohne diese Plakate aus und konnte sich mit der Erbärmlichkeit sozialistischer Stadtkultur bescheiden. Die darin ideologisch bestimmten Bilder konnten kaum als Anreiz für eine künstlerische Wahrnehmung begriffen werden. Die figurative Sprache ist von daher nur bedingt als Abbildung zu begreifen, sondern als eine eigenständige Produktion von autonomen Bildern, die allerdings zuweilen wieder ideologischer Vereinahmung offenstanden. Während sich in Westeuropa die Kunst im Wechselspiel von öffentlichen „Bildern“ und darauf bezogenen Strategien entwickelte, die ebenso gleichwertig die eigene Kunstgeschichte als Inventar unterschiedlichster Ausdrucksmittel heranzog, und von daher eine Pluralität der Sprachen entstand, ist in der DDR, auch bedingt durch die beschränkten Produktionsmittel, das Ausdrucksspektrum begrenzt. Inwieweit sich diese Beschränkung aufheben wird, bleibt abzuwarten. Ein Lernprozeß wird in Gang gesetzt werden, der auch die Veränderung der städtischen Landschaft und das damit einhergehende veränderte Wahrnehmungssmuster berücksichtigt. Westeuropäische Kultur ist im Gegensatz zur DDR – Kultur weniger durch Gegenstandskomplexe bestimmt als durch Bilder, die diese Gegenstandskomplexe abbilden. Das bedingt eine andere Wahrnehmungsstruktur, die immer schon auf einer vorhandenen Wahrnehmungsstruktur aufbauen muss. Diese Verdoppelung von Perzeption ist in der DDR – Kunst noch unbekannt.
Diskurs
Der Begriff „Diskurs“ soll die die Wahrnehmung begleitenden Begrifflichkeiten benennen. Sie hat sowohl Einfluß auf diese und wird von dieser beeinflußt. Diese Beieinflußung läßt deutlich werden, daß die Diskurse sich „hier und dort“ wesentlich unterscheiden. Das lässt sich im wahrsten Sinne des Wortes ablesen. Was Karl Markus Michel über die deutsche Kunstkritik ( K.M. Michel, ‚O, Heiliger Lukas‘, Kursbuch 99, Berlin 1990) feststellt, lässt sich allerdings nicht auf die Kunstkritik der DDR anwenden. Denn wo in Westeuropa der Markt sein Wort im Diskurs mitträgt, bleibt das in der DDR außen vor. Dort werden die ideologischen Hintergründe mehr oder minder bewußt in die Kunstkritik übernommen, oder sie werden abgelehnt, was deren Diskurs in gleicher Weise beeinflußt. Ex negativo erhält der Diskurs so eine spezifische Poetik, die sich nicht vergleichen lässt mit dem westeuropäischen Diskurs. In dieser Poetik wird der offizielle Sprachgebrauch hin zu einem individualisierten Diskurs gebrochen, der aber auch seine Sprachmuster kennt. Diese erschliessen sich nur im Vergleich (der durch die Beiträge in diesem Band deutlich werden kann). In einem der Situation Westeuropas vergleichbaren Sinn gab es in der DDR keine Kunstkritik, weil sie einerseits in den offiziellen Organen des Künstlerverbandes oder kontrollierten Kunstkatalogen erschien oder andererseits nur eine beschränkte Öffentlichkeit in den Untergrundmedien fand . Eine Kunstkritik der DDR wird sich umorientieren müssen, weil sie sich anderen, ungewohnten Ausdrucks- und Vermittlungsformen gegenübersieht. Ob sie sich nach diesem Prozeß noch als eine Kunstkritik der DDR begreifen kann, ist fraglich. Die Auflösungstendenzen einer eigenständigen DDR – Kunst werden auch auf die sie tragende Kunstkritik durchschlagen. Konkurrenz ist angesagt, nicht das friedliche Nebeneinander.
Vermittlung
Wer in dieser Situation ein funktionierendes Telefon sein eigen nennt und an diese sogar noch einen Anrufbeantworter angeschlossen hat, kann sich zur Crème de la Crème der dortigen Kunstkritiker-Clique zählen. Denn über die ideologischen und diskursiven Unterscheidungen hinaus, ist das rein Praktische der Pferdefuß jeder Interaktion mit der Kunstlandschaft der DDR. Vierzig Jahre Mißwirtschaft haben ihre Spuren hinterlassen, und während die westdeutschen Kollegen ihren Computer mit Modem und Telefax hochrüsten, ist allein die telefonische Kontaktaufnahme mit dem Kollegen der DDR ein Vabanquespiel mit unsicherem Ausgang. Der Autor dieser Zeilen war bei der Produktion dieses Bandes öfter als reitender Bote unterwegs, als daß er die Mittel der Telekommunikation einsetzen konnte. Japan liegt da näher als der Übergang am Moritzplatz. Es kann nicht darum gehen, die Kunstlandschaft der DDR in diesem Bereich zu schmähen, aber es geht darum, daß eine vorhandene Infrastruktur ebenso Auswirkungen hat auf eine Kultur wie auf eine Wirtschaft. Möglichkeiten einer Kultur wurden und werden (noch auf absehbare Zeit) durch das beschränkte Netz behindert. Das heißt aber auch, sich daran zu erinnern, daß die westeuropäische Kunstlandschaft eine Vermittlungsbasis hat, die nicht künstlerisch ist, sondern rein infrastrukturell. Das bezieht sich auch auf das Ausstellungswesen, das in der westeuropäischen Kulturlandschaft höhere Präsenz und Prominenz besitzt als in der DDR. Erst eine Internationalisierung der dortigen Kunstlandschaft, die wohl weitgehend mit Importen arbeiten wird, wird eines Tages wohl auch eine Ausstellung von Harald Szeemann in Leipzig oder Dresden sehen. (Dort können er und andere die Lorbeeren ernten, die ihm hier zuweilen versagt bleiben.)
Bis dahin aber sind die Unterschiede zwischen einer westeuropäischen Kunst und einer Kunst der DDR soweit abgeschliffen, daß dergleichen Fragen nicht mehr aufkommen. Es wird sich erweisen, daß auch das Betriebssystem Kunst in Westeuropa, trotz aller Unkenrufe, den Sieg über das der DDR davontragen wird. Wer in diesem Siegeslauf den Schritt zuweilen anhält, sollte nicht zu Sturz gebracht werden. Kunst soll ja etwas mit Sensibilität zu tun haben.