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Nachrichtenforum: Aktionen & Projekte · von Jürgen Raap · S. 372
Nachrichtenforum: Aktionen & Projekte , 2011

FAUST

Die Macht der Geldinstitute manifestiert sich baulich in den Gebäudetürmen des Frankfurter Bankenviertels. Eine Architektur mit viel Chrom, Glas und Granit, kalt und nüchtern wie die Geschäfte, die hier abgewickelt werden. Eine dieser Zentralen der Geldmacht ist die Commerzbank – knapp 300 m hoch ist der Tower, der weithin sichtbar von der Herrlichkeit der Zinserträge und Dividenden kündet. Im Eingangsbereich hängt eine bunte Kugelskulptur von der Decke herunter; illuminiert wird sie von dem fahlen Licht, das durch die gläsernen Wandverblendungen aus den oberen Etagen und durch die gläserne Dachkonstruktion auf den Treppenaufgang fällt. Hier zeichnete der Künstler Stefan Micheel ein Kraftfeld auf den Boden genau unter der Kugel: Ein Pentagramm, das exakt den kreisrunden Schatten der Kugel ausfüllt, und das nach den Konstruktionsmerkmalen in Goethes Faust angelegt war. Das faustische Streben nach Höherem hat seine symbolische Entsprechung in dieser Hochhausarchitektur des Bankenviertels. So, wie einst die Baumeister der Gotik Kathedralen schufen, die symbolisch in den Himmel wachsen sollten, hat in analoger Entsprechung für Banker und Börsianer das Geld eine mystische Bedeutung, auch wenn man das im hektischen Geschäftsalltag mit seinen Kursschwankungen nicht immer konkret spürt. Doch der Calvinismus propagierte im 16. Jh. Geldscheffeln als gottgefälliges Werk, und das bietet womöglich auch noch im 21. Jh. den Bankiers nicht nur in der Schweiz eine spirituelle Selbstvergewisserung. Micheels Intervention bezieht sich auf die Stelle im Goethe-Text: „Das Pentagramma macht dir Pein? Ei, sag mir, Sohn der Hölle, wenn das dich bannt, wie kamst du denn herein? Wie ward ein solch Geist betrogen?“…

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