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Ausstellungen: München · von Rainer Metzger · S. 410 - 411
Ausstellungen: München , 2001

Rainer Metzger
Jeff Wall – Neue Arbeiten

Ich darf nicht vergessen, ein bedeutendes Werk der realistischen Schule zu erwähnen, die Übertragung einer Idee von Giorgione in modernes Französisch. Giorgione hatte den glücklichen Einfall, ein Fest im Freien darzustellen, bei dem die Männer bekleidet, die Frauen aber unbekleidet sind; der zweifelhafte moralische Charakter jenes Gemäldes wird von den wunderbaren Farben aufgewogen. Nun hat ein kläglicher Franzose dies in die Sprache des neuen französischen Realismus übersetzt, in viel größerem Format und mit der scheußlichen heutigen französischen Kleidung anstelle der eleganten venezianischen Kostüme. Da sitzen sie nun unter den Bäumen; die Hauptfigur nackt, eine andere Frauengestalt entsteigt im Hemd einem kleinen Bach, der in der Nähe vorbeifließt, und zwei töricht und glückselig dreinschauende Franzosen, einer mit einer Quastenmütze, sitzen im grünen Gras.”

In den glorreichen Zeiten der frühen Moderne, als die Kritiker noch so derb vom Leder zogen wie der soeben zitierte englische Kunstliterat Philip Hamerton, war es durchaus Usus, sich bei den Kollegen aus der Geschichte zu bedienen. Edouard Manet, um dessen Paradebild “Frühstück im Grünen” es hier geht, stand entsprechend nicht an, sich eine “Idee von Giorgione” einzuverleiben. Das “Ländliche Konzert” galt schon in jenem Jahr 1863, als Manet sich die Kombination von zwei (fast) nackten Frauen und zwei um so bekleideteren Männern vornahm, als eines der Meisterwerke des Louvre (dass es heute Tizian zugeschrieben wird, tut nichts zur Sache). Dass Manet sich bei der Hochkunst bediente, um sie in die eigene “Kläglichkeit” überzuführen, konnte entsprechend nur Missfallen erregen. Die Erklärung, dem Zeitgenossen…


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