Gerhard Johann Lischka
Niklas Luhmann
G.J.L.:In den 60er Jahren war die Soziologie, so kann man sagen, die Wissenschaft. In den 70er Jahren wurde sie als Mode von der Ethnologie abgelöst. Wie sieht es nun heute mit der Soziologie aus? Gibt es noch so etwas wie eine einheitliche Vorstellung davon, was Soziologie denn ist?
N.L.: Ja, fachintern gibt es das schon, abgesehen davon, daß man über Lehrstühle und Kongresse und Publikationsorte definiert ist. Doch die Standards liegen hauptsächlich in der empirischen Forschung, jedenfalls in den USA und den von dort aus beeinflußten Bereichen. Aber die Erwartungen an eine darüber hinausgehende Gesellschaftstheorie etwa oder an ein soziologisches Verständnis der Moderne sind offenbar mit der üblichen Empirie nicht in Einklang zu bringen und werden deshalb nicht erfüllt.
Was meint denn dieses Verständnis von Empirie?
Empirismus ist eine Variante für Biologie, für Input-Output oder mit Stimulus-Response-Modellen charakterisierte psychische Systeme. In der Soziologie würden die Handlungssysteme an diese Stelle treten, mit der Meinung, man könne die Motive eines Handelnden beobachten oder empirisch beschreiben.
Nun sind Sie ganz bestimmt kein empirischer Soziologe, sondern ein theoretischer Soziologe, jemand, der eine Theorie der Soziologie aufstellen will und die Theorie dermaßen ineinander verzahnt, daß sie immer ein nahtloseres Gebilde wird, eine verbindliche theoretische Soziologie.
Ja. Ein Problem mit Empirie ist, daß die Methoden sich nur für begrenzte Erkenntniszwecke eignen. Offensichtlich reicht die Empirie nicht für die Gesellschaftstheorie aus, nicht zuletzt auch deshalb, weil es im Gesellschaftsbereich ja selbstreferentielle Zirkel gibt. D. h., die Gesellschaft ist ein System, das sich selber beschreibt, das die Theorien über…