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Titel: Ästhetik des Reisens · von Katharina Steffen · S. 74 - 77
Titel: Ästhetik des Reisens , 1997

Katharina Steffen (Text) und Urs Siegenthaler (Bild)
Reisen als Begegnung mit dem Realen

Erzählung in Drei Fragmenten und eine Fragmentarische Interpretation

Vor diesem Text gab es diese Bilder.

Am Anfang war das Bild – nicht das Wort, noch nicht. Letzteres kommt in der Individualgeschichte des Menschen erst spät zur Macht, dafür um so nachhaltiger. Doch unsere ersten Jahre verbringen wir wortlos.

Was aus unserem Mund getönt kommt, sind lediglich Laute des Staunens, des Wohlbefindens, des Entsetzens, Geschrei, Stöhnen, Lachen vielleicht. Wir leben eingetaucht in eine Welt aus Bilderreigen, Bildergeschichten, Bilderfluten, mit denen wir selbst verschmelzen, ungetrennt, ausgesetzt, aufgehoben.

Mit dem Sprachgebrauch fängt das Unterscheiden an. Mit dem unaufhaltsamen Drang, den Dingen einen Namen zu geben, beginnt das Unterscheiden zwischen außen und innen, zwischen mir und dir, das Zu- und das Einordnen, das Trennen, das Kalkül. Auf diese Weise erwerben wir uns das Glück, in die Welt zu treten, doch neben ihm einher geht auf leisen Sohlen sein Schatten, der Zwiespalt.

So umfassend nimmt das Wort von unserer Existenz Besitz, daß die meisten von uns das unendliche Reich der Bildsprachen weitestgehend vergessen. Die enorme Konzentration auf sprachliche Kommunikationsformen in den Wissenschaften vom Menschen sind ein Beleg für diese verengte Perspektive.

Dessen ungeachtet bleiben viele unserer Aktivitäten durch die Sehnsucht nach primär optischen Ereignissen und Eindrücken geprägt. Die Lust am Reisen gehört sicher zu diesen Aktivitäten.

Unser Hang zum – zeitlich befristeten – Nomadisieren erklärt sich nicht zuletzt aus dem Glücksgefühl, das die vorbeiziehenden Bilder in uns hervorzurufen vermögen. Was ihr unaufhörlicher Strom in uns unmerklich bewirkt ist…


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von Katharina Steffen

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