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Titel: Ästhetik des Reisens · von Aurel Schmidt · S. 86 - 95
Titel: Ästhetik des Reisens , 1997

Aurel Schmidt
Reisen. Raum. Körper.

Deplazierungen am Ende Bzw. am Anfang des Millenniums oder: Die Reise bin ich

Es ist vollbracht. Wir sind angekommen. Es hat keinen Sinn, sich noch irgendwelche Illusionen zu machen. Der Aufbruch ist erfolgt, und das Ziel, das wir uns vorgenommen haben, hat sich am Horizont in Luft aufgelöst. Es gibt keines mehr, weil es flächendeckend ist. Wir werden nie mehr ankommen, weil wir es längst schon sind.

I. Zwischen Sesshaftigkeit und Wanderleben

Das ist die paradoxe Realität. Es gibt keine Möglichkeit, dem Widerspruch auszuweichen. Wir sitzen in der Falle der Unbeweglichkeit fest. Natürlich können wir nach Palermo reisen oder Patagonien (das ist weiter weg, also fremder, daher verlockender), aber das ändert nichts an der Tatsache, daß jede Bewegung, die wir in einem gegebenen Raum ausführen, nirgends hinführt. Es ist ungefähr so wie mit einem geschlossenen System, in dem es keinen Energieverlust gibt, oder wie am Nordpol, wo jede Richtung nach Süden weist.

Rap oder Reise?

Ein Mentalitätswandel hat stattgefunden, eine Umcodierung in unserem Denken, die zur Folge hat, daß jede Distanz, jede Ortsveränderung uns nicht von der Stelle bringt. Wenn ich den Zug oder das Flugzeug besteige, verlasse ich keinen Ort und komme an keinem anderen an, ich tausche höchstens den einen gegen einen anderen aus. Der Bahnhof in Basel und derjenige in Berlin bilden zwei verschiedene Anschlüsse an ein und dasselbe Eisenbahnnetz, und wenn ich glaube, angekommen zu sein, bin ich nicht woanders, sondern geblieben, wo ich immer war, auf den immer noch gleichen Füßen, und die Welt um mich…


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