Paolo Bianchi
Sehn-Sucht-Trips:
Versuch über das Reisen und Ruhen
Als Reisende im Prä-Millennium
Das Prinzip Sehnsucht ist das A und O des Reisens. Die Sehnsucht nach dem Paradies auf Erden ist die Triebfeder. Die Sehnsucht nach Entgrenzung macht aus Reisenden Flüchtende und Suchende. Die Sehnsucht nach e-motionaler Erfahrung (motion/emotion) ist groß: Einerseits ist die Tourismusindustrie der größte Wirtschaftszweig der Welt, andererseits gehört das Drogenproblem zu einer der Hauptsorgen westlicher Gesellschaften.
Das Sehnen entfaltet sich als emotionale Bewegung auf etwas Unbestimmtes und Unfaßbares hin. Die Sucht ist, ganz im Gegensatz dazu, ein Verlangen nach etwas Bestimmtem. Das Sehnen paart sich mit der Neugierde und die Sucht mit der Angst.
Das Wort Sehn-Sucht sagt bereits, daß Sehnen zur Sucht wird. Sowohl künstliche (Ferien-)Paradiese als auch Drogen, beides lähmt den Menschen in seiner Sehnsucht, so der Schweizer Psychologie Matthias Vogt. Die “Reisewut” vieler Menschen hat Suchtcharakter. Vogts Analyse kommt zum Schluß: Es ist ein Phänomen unserer Zeit, daß “viele Menschen Sehnsüchte gar nicht aufkommen lassen, sondern auf sofortige Bedürfnisbefriedigung und Spannungsabfuhr fixiert sind. Unser heutiges Leben ist wahrscheinlich der Sucht näher als dem Sehnen”.
Die Formulierung einer Philosophie, Psychologie oder Anatomie der Ruhelosigkeit bleibt unter solchen Umständen ein schwieriges Unterfangen. Und wenn dem so ist, so ist authentisches Reisen vor allem in einer unauflöslichen Mischung und Hybridität zu suchen. Wo, wenn nicht in diesem Dazwischen, ist die Intensität des Reisens und Ruhens zu finden?
Der amerikanische Kult-Autor Hakim Bey spricht in diesem Heft von Zwillingsgespenstern und meint damit den Touristen und den Terroristen, die beide unter demselben Hunger nach dem Authentischen…