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Titel: Ästhetik des Reisens · von Lutz Krusche · S. 84 - 85
Titel: Ästhetik des Reisens , 1997

Lutz Krusche
Jean-Didier Urbain

Der Tourist – Idiot des Reisens?

Monsieur Urbain, sind Sie ein Tourist?

Urbain: Selbstverständlich. Mir wurde das klar, als ich an einem Buch über unser Bild vom Tod arbeitete und mir dafür viele europäische Friedhöfe ansah. Zunächst kam ich mir dabei vor wie ein bedeutender Entdecker. Irgendwann aber bemerkte ich all die anderen Touristen, die auf den wunderschönen Friedhöfen herumspazierten – offenbar hielten auch die sich für ganz besondere Wesen. Mir jedenfalls wurde klar: Ich bin Tourist wie alle anderen auch.

Eine Enttäuschung?

Natürlich habe ich mich geärgert. Der Friedhofsforscher Urbain ist nur ein einfacher Tourist! Aber letztlich verbindet Ethnologen und Touristen sehr viel: Beide müssen sich ihrer Umgebung anpassen, beide müssen erkennen, daß sie nichts anderes sind als neugierige Menschen auf Reisen.

Haben Sie sich nie über Ihre Mit-Touristen geärgert?

Und wie! Ich empfand sie als Eindringlinge, überflüssig und nervend. Doch die Weisheit, die uns der Tourismus lehrt, heißt: Lernt, euch den Raum zu teilen.

Sie beklagen, daß der Tourist als “plattfüßiger Nomade” verspottet wird. Warum verachten wir den armen Teufel so?

Touristen sind monströse Spiegelbilder von uns selbst. Sie führen uns vor, wie tölpelhaft wir uns in der Fremde bewegen. Wer sieht sich schon gern derart bloßgestellt? Man ist konfrontiert mit seiner eigenen Karikatur, und das millionenfach. Scheußlich!

Für die meisten Reisenden ist der Tourist immer nur der andere. Warum schämen wir uns dazuzugehören?

Der Tourist ist eine Persönlichkeit mit starken Minderwertigkeitskomplexen. Für seine Reise kann er keinen gewichtigen Grund anführen, im Gegensatz zu Diplomaten, Wissenschaftlern oder Geschäftsleuten. Der Tourist hat nur die Neugierde als…


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