STEFAN BANZ
Der Anbau des Museums
JACQUES DERRIDA, WADA JOSSEN, THEO KNEUBÜHLER UND HARALD SZEEMANN ALS GÄRTNER
An den Rändern der Kunst
Die Kunst hat nach dem Ende der Avantgarde besonders in der Zusammenarbeit oder Verbindung mit Philosophie, Wahrnehmungstheorie, Inszenierung und Aneignung wesentliche Differenzierungen erfahren. Die Voraussetzungen dafür aber reichen zurück zu den Initialgesten am Beginn dieses Jahrhunderts. Eine der wichtigsten scheint diejenige von Marcel Duchamp zu sein, der 1919 der Mona Lisa von Leonardo auf einer Reproduktion mit Bleistift einen Bart anfügte. Durch diesen Akt hat er nicht nur eines der berühmtesten und im Laufe der Geschichte mit unzähligen Inhalten angereicherten Werke in die aktuelle Diskussion eingeführt und gleichzeitig für seine eigenen Vorstellungen “mißbraucht”, sondern auch die Frage nach dem Standort oder den Möglichkeiten der Kunst auf eine neue Grundlage gestellt, die auf die Schwierigkeiten eindeutiger Grenzziehungen hinweist und ihren relativen Spielraum sichtbar macht.
Duchamp hat durch die Anbringung des Bartes die geschlechtliche Differenz, die vermeintlich natürliche Grenze zwischen Mann und Frau sozusagen ausgelöscht und zusätzlich dem von Menschenhand entworfenen Kunstwerk eine neue visuelle Existenz gegeben, indem er der mechanisch reproduzierten Wiedergabe den gleichen Stellenwert einräumte wie dem Original und ihren Kreativitätswert durch eigenhändiges Supplementieren auf eine andere Ebene stellte. Dadurch hat er das Verhältnis von genialer Erfindung und Plagiat, Originalität und Nachahmung und in gewisser Weise von Natur und Kultur neu befragt und erste Anzeichen gesetzt, die Vorherrschaft des Retinalen im bildnerischen Kontext zu relativieren. Diese Geste ist heute, am Ende dieses Jahrhunderts wichtiger und folgenreicher denn je. Denn das Differenzieren und…