Editorial
Modern Nature: Künstler als Gärtner
VON PAOLO BIANCHI
Wo gehts bitte zur Revolution? Die zwischen White Cube, Wohnzimmer und grüner Wiese angesiedelte “Gartenrevolution” in der Kunst irritiert. Handelt es sich um ein Plädoyer gegen großstädtisches Abschottungsverhalten und entfremdete Lebensbedingungen? Das Auftauchen des Gartens und des Gärtnerns in der Kunst hat jedoch weder mit der Eroberung des Privaten noch mit dem Rückzug aus dem Öffentlichen zu tun. Das Gärtnern legt vielmehr die Schnittstelle zwischen privater und öffentlicher Sphäre offen, es etabliert eine neue Kunst des Öffentlichen.
Symptomatisch dafür steht die Berliner Debatte um das “Denkmal für die ermordeten Juden Europas”, die Stimmen hervorbrachte, welche klar formulieren, daß die künstlerische Umsetzung weder Monumentalität noch Inszenierung erfordere, sondern Bescheidenheit und Aufrichtigkeit. Statt einen Stelenwald oder Stelensee aus 2700 Betonpfeilern zu errichten, könnte ein Garten angelegt werden. Gärten bringen die Wunderkammern und Raritätenkabinette ins Spiel, die hängenden Gärten von Babylon. Gärten als Orte der Kontemplation. Gärten sind wie Lexika oder Museen. Archive sind die Gärten unserer Erinnerung. Das Archiv ist ein Paradox: Indem es Erinnerungen speichert, dient es der Zukunft – das ist sein Wert, seine Qualität und sein Sinn. Ein Garten stünde weniger für den revolutionären Umbau einer geistigen “Weltsicht” (große Erzählung), als vielmehr für die emotionale Seite einer veränderten “Weltstimmung” (jede/r ist eine kleine Erzählung). Das führt unweigerlich zu neuen Merkmalen des Denkens: Archiv statt Bibliothek, Garten statt Wald, Bits statt Atome, Netz statt Raster. Ein Garten in Berlin wäre somit ein Anti-Denkmal. Wir wären in einer anderen Welt, in einem Kosmos aus lauter…