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Titel: Kunst und Literatur I · von Heinz-Norbert Jocks · S. 84 - 93
Titel: Kunst und Literatur I , 1997

Heinz-Norbert Jocks
Der Doppelbegabte auf der Schwelle seines zersplitterten Seins

Mehrere Existenzen auf einmal auszuleben, steht in keinem guten Ruf. So kann Brechts Mutter Courage nicht gleichzeitig eine gute Geschäftsfrau und gute Mutter sein. Sie verliert ihre Kinder an den Krieg, von dem sie profitieren will. Analoges wird auch jenen nachgesagt, die ein künstlerisches Doppelleben führen. Dabei genießt der doppelt Begabte den Vorteil, im fliegenden Wechsel sich seinem Thema aus unterschiedlichen Richtungen zu nähern, oder das Glück des Pendlers zwischen zwei Welten, deren Gemeinsames sich nicht auf den ersten Blick mitteilt. Doch muß er um seine doppelte Anerkennung bangen. Schlimmer noch, wer sich dazu bekennt, Künstler und Schriftsteller in einem zu sein, der muß damit rechnen, daß eine Seite seines Wesens verschwiegen oder unerwähnt bleiben wird. Es hat den Anschein, als werde die von ihm bei den anderen verdoppelte Verunsicherung durch Halbierung von außen kleingehalten. Indem nur die eine der beiden Künstlerseelen ernstgenommen und dafür die andere geringgeschätzt wird, wird unterschlagen, daß der wirkliche Künstler per se der große Antispezialist ist. Ja, es ist geradezu seine Bestimmung, sich um mehr als nur um eine Sache zu kümmern. Rimbauds “Ich ist ein anderer” ließe sich hier als eine mögliche Maxime des Doppelbegabten zitieren, darauf abzielend, daß das Ich aus vielen Facetten zusammengefügt oder in viele Facetten zerfallen ist. Wenn es auch vergeblich ist, das Viele in das Eine zu wenden, das Ich heißt, so verbindet sich mit dem Ausleben der Doppelbegabung der wenn auch vergebliche Versuch, die Facetten des zersplitterten Seins an…


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von Heinz-Norbert Jocks

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