Werner Spies
Unterwegs zur Literatur
Pablo Picasso und Max Ernst
I. Max Ernst – Der Leib wird zum Lapsus
Den Anstoß, Kafka und Max Ernst in einem Atemzug zu nennen, liefert Max Ernsts Illustration der Geschichte “Die Sorge des Hausvaters”. Diese gehört, das wurde genügend wiederholt, zu den dunkelsten im Werk Kafkas. Die Beschäftigung mit dem abgründigen Objekt-Wesen “Odradek”, das Treppenhaus und Dachboden durchgeistert – erinnern wir nur an die Beiträge Benjamins, Anders’, Emrichs und Pasleys -, hat die Auslegung, die wir Max Ernst verdanken, übersehen. Diese erhellt, warum sein Werk und das Kafkas in Rufweite bleiben. Hier und dort geht es um unerbittliche Fremdheit. Beide armieren ihre Botschaft in derselben Rüstkammer. Bereits die ersten rätselhaften Darstellungen Max Ernsts – “Elefant Celebes”, “Leimbereitung aus Knochen”, “Die schwankende Frau” – verweigern sich der Ausdeutung. Wir können zwar angesichts dieser Bilder nie aufhören, nach einem Schlüssel zu suchen – aber wir werden ebensowenig ins Bild vordringen wie der Bote mit der “Kaiserlichen Botschaft” je den Leser erreichen wird. Das Entscheidende der Bildmagie in den frühen Arbeiten Max Ernsts kann man nicht mit der dadaistischen Grundstimmung der Zeit erklären. Dazu sind diese Werke zu bodenlos und zu scharf umrissen. Von diesem Paradox leben sie. Es ist das Paradox, das nun eben “Odradek” charakterisiert. Schreibt doch Kafka über dieses verflixte Ding: “das Ganze erscheint zwar sinnlos, aber in seiner Art abgeschlossen.”
Was bei Max Ernst auftritt, reicht wie bei Kafka über eine Reaktion auf die soziologisch-politische Aktualität hinaus. Auch der Hinweis auf de Chirico genügt nicht, den Schock…