Fragen zur Zeit
Der Mann aus dem Grätzl
von Michael Hübl
Die Utopie eines Gemeindebaus, die politische Situation der Großstadt Wien nach den österreichischen Nationalratswahlen und der Verlust von Zukunft
Eine Begegnung im 15. Wiener Gemeindebezirk. Ein Mann aus dem Grätzl (so heißt das hier für „Stadtviertel“) hat einen Unbekannten beim Fotografieren alter Fassaden beobachtet. Spricht ihn an. Fragt nicht, für welche Behörde er unterwegs ist, will weder wissen, warum er ausgerechnet diese Häuser ablichtet, noch, ob er für einen Investor günstige Objekte auskundschaftet. Er legt aus dem Stand los. Freundlich und voll dumpfem Furor. Möglicherweise deshalb freundlich, weil er hofft, einen Bruder im Geiste gefunden zu haben. Sie sind beide dem Augenschein nach annähernd gleich alt, bei beiden ist, wie man so sagt, der Lack ab. Die Kleidung: unauffällig. Allenfalls am Schuhwerk hätte man von Standesunterschied sprechen können. „So was bringen die heut’ nimmer hin, kein Baumeister und nicht einmal ein Architekt“, proklamiert der, den vermutlich der Drang umtreibt, seine Beobachtungen loszuwerden. Hat er einen Grant (so heißt das hier, wenn einer schlechter Laune ist)? Zumindest weiß er, dass sich im 19. Jahrhundert viele Unternehmer auf ihre eigenen handwerklichen Kenntnisse verließen und es sich sparten, für ihre Bauvorhaben Architekten zu beauftragen.
Wie einst für den Adel
Ein ästhetischer Diskurs wird da angerissen, obschon es nicht danach aussieht, als habe der Mann sich mit Fragen des Goldenen Schnitts oder insgesamt der klassischen Proportionslehre befasst. Aber es artikuliert sich ein aufgestautes Unbehagen an den Wohnblocks und Mietshäusern, wie sie spätestens seit…