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Titel: Parasitäre Strategien · von Michel Serres · S. 60 - 63
Titel: Parasitäre Strategien , 2007

Michel Serres
Der Parasit

Auszüge

Seit Bergson, der diese ganze Sache mit dem Offenen und Geschlossenen, dem Inneren und Äußeren erfunden hat, haben die Systeme sich immunisiert, indem sie komplexer wurden. Das war vorausgesehen. Sie haben sich gefestigt, indem sie toleranter wurden. Sie sind an den Revolutionär, den Irren, den Abweichler, den Dissidenten akklimatisiert. Ein Organismus kann sehr gut mit seinen Mikroben leben, er lebt besser, ja er gesundet an ihnen. Der Grausamkeit von Systemen mit einer Norm ist die unerbittliche Macht der Systeme mit mehreren Normen, mehreren Variablen hinzuzufügen, die jedes Mal eine Norm mit ihrer Gegennorm und ihren Einschließungsfunktionen verbinden. (S.106)

Man sagt, der Parasit sei aufgrund der Komplexität seiner Tätigkeit und wegen der Überfeinerung seines Zyklus ein Wunder der Evolution. Manchmal sagt man auch, unsere Aktivität habe inzwischen schon ein großes Gewicht in dieser Evolution. Und plötzlich kommt der Gedanke, ob die Evolution nicht unter einem bestimmten Gesichtspunkt das Werk der Parasiten ist. Ob nicht zwischen Evolution und Parasitentum Kreisläufe von Ursachen und Wirkungen bestehen, offene rückgekoppelte Kreise. Die Evolution bringt den Parasiten hervor, der wiederum die Evolution hervorbringt. Plötzlich frage ich mich, ob die Erforschung der parasitären Funktion – und zwar nicht die lokale und aufs Besondere gerichtete, sondern die globale, formale und operative Erforschung – nicht ein verschobener, abgesetzter, im Verhältnis zu den exakten Naturwissenschaften wie zu den Humanwissenschaften reflexiver Bereich ist, eine Durchgangszone, in der sie sich nicht mehr unterscheiden lassen.

Die Evolutionstheorie basiert auf zwei Begriffen: Mutation und Selektion. Man weiß mit hinreichender Genauigkeit, auf welches Ensemble…


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