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Titel: Der Jubiläumsband - Jubiläumsgespräche · von Heinz-Norbert Jocks · S. 206 - 223
Titel: Der Jubiläumsband - Jubiläumsgespräche ,

Die Erfindung eines Kunstmagazins

Ein Gespräch mit Andrea und Dieter Bechtloff
von Heinz-Norbert Jocks

Als KUNSTFORUM International vor einem halben Jahrhundert zum ersten Mal erschien, waren unabhängige Zeitschriften für zeitgenössische Kunst in Deutschland nicht nur eine Rarität, sie mussten erst erfunden werden. Der Mangel an Informationen war gewaltig, die Vernetzung ein Fremdwort. Wäre da nicht Dieter Bechtloff, der Künstler werden wollte, mit seiner Offenheit, seinem Informationshunger und seiner Neugierde an dem gewesen, womit sich andere Künstler beschäftigen, was sie bewegt und dachten, hätte es KUNSTFORUM wohl nie gegeben. Ohne jegliche Ahnung davon, wie man ein Magazin macht und gestaltet, brachte er, 1943 in Posen geboren, zustande, was er selbst für fast unmöglich hielt, ein enzyklopädisches Magazin mit internationaler Ausrichtung aus dem Nichts zu zaubern. Als er nach 40 Jahren aus gesundheitlichen Gründen ausschied, übernahm Andrea Bechtloff, die, 1957 in Troisdorf geboren, 1982 als Assistentin begann und ihm mehr und mehr zur Seite stand, die redaktionelle Leitung. Im Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks erzählen die KUNSTFORUM-Macher die unendliche Geschichte des ältesten Magazins in Deutschland, das sich als Autorenzeitschrift versteht.

Heinz-Norbert Jocks: Ursprünglich wollten Sie Künstler und nicht Herausgeber werden.

Dieter Bechtloff: Dass ich 50 Jahre lang nie etwas anderes gemacht habe als Kunstzeitschriften, zunächst das Magazin KUNST und dann KUNSTFORUM International, das war nicht von vornherein geplant. Nach meinem Psychologiestudium landete ich sehr bald bei dem, was ich immer wollte, nämlich Kunst studieren. Zum Studium ging ich 1962 nach Marburg, wo die Studentenrevolution früher als in anderen Universitätsstädten begonnen hatte, schon lange vor dem Besuch des Schahs von Persien in Berlin, bei dem Benno Ohnesorg sein Leben lassen musste. Die Stimmung in Marburg war schon aufgeheizt, als es anderswo noch gemütlich zuging. Endlose Diskussionen in alle Richtungen. Die radikale Studentenzeitschrift SINE SINE war geboren, in der die Verstrickungen der Marburger Professoren mit dem NS-System aufgedeckt und die allgemeine Lage analysiert wurde. Wolfgang Abendroth war einer der Autoren und einer der wichtigsten Ziehväter des legendären Mai ’68.

Für SINE SINE haben Sie gearbeitet.

D.B.: Ja, gleich an meinem ersten Tag in Marburg landete ich in der Redaktion aus einem inneren Drang oder vielleicht aus Neugierde. Sie suchten jemanden für die Produktion. Die alten Herren in der Redaktion hatten sich bereits müde gekämpft, viele hingen in ihrer Doktorarbeit und boten mir die Möglichkeit an, zu experimentieren. Da ich nicht von Anfang an dabei war, gehörte ich auch nicht ganz dazu. Ich war so etwas wie ein Welpe, dem man amüsiert zuschaute, was er so treibt. Zu lernen gab es viel. Nachts nach den Redaktionssitzungen und auch sonst traf man sich in der Kneipe „Walfisch“, wo man bis in die frühen Morgenstunden über alles Mögliche diskutierte. Nicht nur über Politik und Revolution, auch über Theater, Lyrik und Kunst. Vielen, die ich dort kennenlernte, bin ich später auf anderer Ebene begegnet. So Jürgen Hohmeyer als Leiter des Kunst-Ressort beim SPIEGEL, oder Alfred Nemeczek als stellvertretenden Chefredakteur von ART.

Sie gingen wenig später nach Frankfurt.

D.B.: Ja, trotz der so an- wie aufregenden Lebensweise in einer für mich neuen Welt, trotz der vielen Möglichkeiten mit Studiobühne und der von mir gegründeten Studiogalerie, in der ich Ausstellungen organisieren konnte, wie ich wollte, merkte ich schnell, dass alles auf Routine hinauslief. In Marburg konnte, wer Kunstgeschichte studierte, gleichzeitig freie Kunst in einer Art Filiale des Städel Frankfurt studieren. Das hatte ich einige Semester lang gemacht, wodurch ich mein Hauptstudium vernachlässigt hatte. Ich registrierte, dass ich mit dem Zeich-nen-Können von Akten und toten Tieren nichts gewonnen hatte. Dass ich nichts darüber wusste, was andere in der Welt gerade machten, worüber sie nachdachten, wofür sie kämpften, wie der Kunstbetrieb funktionierte und welche Rolle ich in dem Ganzen spielen könnte. Ich drohte, in ein riesiges schwarzes Loch zu fallen. Da ich an Scheinen für das Studium in Marburg nicht interessiert war, wechselte ich nach Frankfurt, meinem Sehnsuchtsort.

Was unternahmen Sie gegen die Unwissenheit?

D.B.: Ich kaufte sämtliche Kunstzeitschriften, die es damals gab, zog mich tagelang in mein Atelier zurück und versuchte, die Wissenslücken zu schließen. Ich erkannte zwar Seilschaften, mit deren Hilfe Karrieren gemacht wurden. Aber der Informationstand war lausig, und ein internationaler Blick fehlte. Was man über die Kunst in anderen Ländern erfuhr, war vom Zufall oder den Konstellationen des aktuellen Kunsthandels abhängig, die von der Presse nachgebildet wurden. Kaum jemand war bemüht, die Entwicklung neuer Stile und Kunstrichtungen, den Wandel des Kunstbetriebs durch die Gründung von Messen und Biennalen aufzuzeigen. Mir schien es wichtig zu sein, nachzuverfolgen, wie sich durch die sich verändernden Gegebenheiten auch die Funktion von Galerist*innen änderte, die zu Handelsreisenden auf allen Kontinenten wurden.

War der Informationsmangel der Grund dafür, eine eigene Zeitschrift zu machen?

D.B.: Ja, denn das Bedürfnis nach strukturierter Information war groß und konnte nur durch ein neues Medium befriedigt werden. Nur wusste ich nicht, wie ich das Ganze angehen musste. Ich besaß weder das Knowhow, was das Führen eines Verlages betraf, noch betriebswirtschaftliche Kenntnisse, kein Kapital und auch keine Mitarbeiter*innen, und hatte keine Ahnung von Layout, Drucktechniken etc. Ich stand vor diesem Abenteuer wie Ferdinand Porsche, der, weil er kein Auto fand, das ihm gefiel, sich sein eigenes baute.

Wie erlebten Sie Frankfurt?

D.B.: Frankfurt war für mich, der seine Jugend in einem 50-Seelen-Dorf in der Nähe von Hitzacker an der Elbe verbrachte, der Inbegriff von purem Abenteuer und wildem Leben. Um dort zu überleben, musste ich jobben für eine Wach-und Schließgesellschaft. Als ich die Bewachung des Hauses der Chemie, einer Ansammlung sämtlicher Verbände in Deutschland nahe des Frankfurter Hauptbahnhofs übernahm, organisierte ich dort sogar ein Happening: Ich lud neben zwölf Künstler*innen auch Galerist*innen und Sammler*innen zu Mitternacht ins Haus der Chemie ein und führte sie durch die Räume bis ins oberste Stockwerk, wo ich vom Schreibtisch des Direktors Dr. Sächtling aus einiges vortrug. Ihm saß ich zwei Jahre später als Redakteur der Zeitschrift Magazin KUNST für ein Interview zu Kunst und Kunststoff gegenüber.

Wie kamen Sie mit der Kunstszene in Berührung?

D.B.: Durch meine Nachtwächterjobs hatte ich zwar keinen Schaden erlitten, mir wurde es dort aber wegen diverser Vorfälle allmählich mulmig. Zudem wollte ich mich wieder mehr der Kunst widmen und fing an, bei der Galerie Patio als ein von sieben Mitgliedern des Vereins mitzuarbeiten. Dort wurden Publikationen im Handsatz und gleichzeitig wichtige Avantgarde-Ausstellungen gemacht. Einer der Künstler war Konrad Lueg, ehe er sich als Galerist Konrad Fischer nannte. Ein anderer Timm Ulrichs, der sich dort als das erste lebende Kunstwerk in einer Glas-Box präsentierte. Auch wichtige Aktionisten aus Wien waren vertreten. Bei einem Backfestival traf ich in der Weihnachtszeit den gerade aus der DDR geflohenen Klaus Staeck, der Kunstkuchen backte und dann für die SPD bissige Plakate entwarf. Dass er auch Rechtsanwalt war, erfuhr ich erst, als er mir nach meiner Kündigung beim Magazin KUNST anbot, mich rechtlich zu vertreten.

Das Bedürfnis nach strukturierter Information war groß und konnte nur durch ein neues Medium befriedigt werden.

Eines Tages schlenderte ich durch das Bahnhofsviertel und stieß auf ein Schild mit der Aufschrift „Galerie 13 Heinrich Wiederholt“. Aus Neugierde klingelnd, wurde ich von einem älteren Herrn hereingebeten, der gerade Luc Peire ausstellte. Er erzählte mir, dass ihm das Haus gehörte, in dem Prostituierte wohnten, dass er ein großes Aktienpaket eines Chemiekonzerns geerbt hat, mit dem er nichts anzufangen wusste, außer davon zu leben. Dass er die französische Kultur liebte, Lesungen mit der jüngsten französischen Lyrik veranstaltete und mit Jean-Paul Sartre befreundet war. Als Dankeschön für meine Gesellschaft bot er mir eine Atelierwohnung im dritten Stock an.

Sie gingen dann aber nach Mainz, wo Sie für das Magazin Kunst arbeiteten.

D.B.: Ja, ich verließ Frankfurt aus Gründen, die zu erzählen, zu weit führen würde, und kaufte mir vor der Abfahrt am Bahnhofskiosk „Das Kunstwerk“. Kurz vor meiner Ankunft fand ich darin ein Inserat: „Galerie Baier – gut gewählte Sammlung“. Baier suchte für seine Zeitschrift MAGAZIN Kunst einen Mitarbeiter. Kaum in Mainz, vereinbarte ich noch für den gleichen Tag einen Termin, um mich für den Job zu bewerben. Trotz vieler Bewerbern mit guten Namen bekam ich ihn und erfuhr, warum. Er konnte die Arbeit nicht bezahlen. Das war mir egal, weil er mir stattdessen eine kleine, wenn auch heruntergekommene Wohnung als Bleibe anbot. Der Verlag befand sich in einer kleinen Einfamilien-Wohnung mit Kinderzimmern, von denen zwei als Arbeitsräume dienten. Galerie und Verlag waren ein einziges potemkinsches Dorf hinter protzigen Anzeigen, die nicht bezahlt werden mussten, und das nötigte mir Bewunderung ab. Wie konnte man sich so etwas trauen?

Der Informationstand war lausig, und ein internationaler Blick fehlte. Was man über die Kunst in anderen Ländern erfuhr, war vom Zufall oder den Konstellationen des aktuellen Kunsthandels abhängig, die von der Presse nachgebildet wurden.

Wer war Baier? Was machte er?

D.B.: An die Kunstzeitschrift, die zunächst „Vernissage“ hieß, war er über den Künstler Klaus-Jürgen Fischer gekommen, der diese als Wunderkind von seinem Vater zu seinem 18. Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Dieser besaß den Agis Verlag für medizinische und pharmakologische Fachzeitschriften. Später kaufte er noch die etablierte Zeitschrift „Das Kunstwerk“ dazu. Hier konnte sich Fischer zusammen mit seinem Künstlerfreund Rolf-Gunter Dienst, dem späteren Redakteur, austoben, und seine Interessen lancieren, in Tagebüchern, Monografien der Freunde aus der Künstlergruppe SYN, im Prinzip strategisch so gemacht, wie zuvor mit dem Blatt „Vernissage“ erprobt. Das enthielt vor allem Eröffnungsfotos mitberühmten Künstlern, auf denen sich Fischer neben dem Meister mitablichten ließ.

Nachdem ich genügend Kenntnisse zur Geschichte der Zeitschrift hatte, erkundigte ich mich nach dem Abo- und Anzeigenbestand. Es gab weder Abonnent*innen, da die Vorläuferzeitschrift praktisch als PR verschenkt wurden, noch Anzeigen, da sich ein Boykott des Vereins Progressiver Kunsthändler*innen auswirkte, der die erste Kunstmesse in Köln organisiert hatte. Baier, der als Galerist mit einem Happening von Wolf Vostell ein bisschen aufgefallen war, beanspruchte, in den Verband aufgenommen zu werden, um auch an den Messen teilnehmen zu können. Weil abgelehnt, fuhr Baier, der ein paar Semester Jura studiert hatte, juristische Geschütze auf. Doch er verlor den Prozess.

Was den redaktionellen Bereich betraf, so flatterten einem die Titel- und sonstigen Geschichten per Zufall auf den Tisch. Die Monografien waren entschieden, wenn ein /e Künstler*in als kostenlose Gegenleistung vier Grafikauflagen für das Grafik-Abonnement der Galerie lieferte. Einige Monografien wurden zu Umsatz-Zwecken publiziert. Das ging immer dann, wenn die Künstler*innen ihre Artikelseiten wie Anzeigen bezahlten. Ich war schockiert. Es war problematisch, weil diese Geschäftsgebaren verboten war und das Ganze früher oder später aufliegen würde.

Die Lebenschance

Wie puschten Sie die Zeitschrift nach vorne?

D.B.: Ich dachte mir Möglichkeiten aus, um aus diesem Als-Ob-Modell eine mit der Zeit bedeutsame Zeitschrift zu machen. Ich hatte es vollkommen in der Hand, und darin witterte ich die Chance meines Lebens. Schlaflos vor Aufregung rannte ich ein Wochenende lang durch die Stadt, sammelte Ideen, die mir so schnell kamen, dass ich mit dem Notieren gar nicht nachkam. Mein Konzept stand, mit Ausgaben von je 200 Seiten, davon 80 Seiten Anzeigen. Am Montag bat ich um eine Konferenz, bei der das Ehepaar Baier gegen alles argumentierte, was ich sagte. Ich fragte noch einmal nach, ob sie mir zustimmen, dass wir es so machen wie von mir vorgeschlagen. „Das geht nicht“, sagte Baier, woraufhin ich „Arschloch“ rief und abhaute. „Wir können es ja mal versuchen,“ rief er mir einlenkend hinterher.

Nun hatte ich, ehe mir all die Ideen gekommen waren, Baier versprochen, einmal seine Sache mit den „gekauften“ Artikeln mitzumachen und seinen Rekord zu brechen, um ihm zu beweisen, dass ich es besser konnte als er. Ich überprüfte im Kunstadressenbuch, wer die größten Anzeigen aufgab, also bereit war, für Eigenreklame viel Geld auszupacken, und verschickte Briefe an dreißig Künstler*innen, denen ich Monografien anbot. Klodt Bernd von Heiligenfeld, Monika von Boch und andere waren alle im Heft „Kunst und Kunststoff“ mit mehrseitigen Artikeln vertreten.

Ich forderte von Baier, meinen Halbtags- auf einen Ganztagsjob aufzustocken. Da dies nicht angemessen bezahlt werden konnte, verlangte ich eine Verlagsbeteiligung, eine Beförderung zum Chefredakteur, ein separates Büro und die verbindliche Erklärung, dass er sich nicht einmischt. Er willigte widerwillig ein. Danach unternahm ich eine Rundreise durch die Republik zu sämtlichen progressiven, im Ausland aktiven Galerist*innen, um für Vertrauen in die neue Zeitschrift zu werben. Entgegen meiner Erwartung wurde mir, ob von Heiner Friedrich, Rolf Ricke oder Konrad Fischer, Unterstützung angeboten, von Bildmaterialien bis hin zu Inseraten für die nächste Kunst-Messe. Eine große Umwälzung des Kunstbetriebs kündigte sich mit Land- und Concept-art an.

Wie ging es weiter?

D.B.: Es lief nicht alles wie geschmiert. Hans-Jürgen Müller machte mir einen Strich durch die Rechnung. Er, Miterfinder der Kunst-Messen, der den Werbebereich für den Verein managte, hielt meine Initiative für einen faulen Trick von Baier und glaubte, dass dieser nach dem verlorenen Prozess wieder Boden unter die Füße bekommen wollte. Deshalb verweigerte er die Herausgabe der Anzeigenvorlage. „Egal,“ sagte ich, „ich habe einen Auftrag. Wenn Sie mir nicht rechtzeitig die Vorlage übersenden, lasse ich die Anzeige von den schon erschienenen scannen, ob mit oder ohne Moiré-Effekt. Für die schlechte Druckqualität sind Sie verantwortlich.“ Ich bekam nicht nur die Vorlage, sondern hatte gleichzeitig einen Fan fürs Leben gewonnen, mit der Folge, dass wir die nächsten Jahrzehnte viel zusammen machten und er mir mehrere seiner Bücher widmete. Ich machte ein Sonderheft KUNSTFORUM zu Europa 79, in Stuttgart, die Ausstellung, die er mit Max Hetzler zusammen organisierte. Es war die erste große Schau mit vielen Künstlern wie Förg oder Mucha, für die diese nicht nur eine Premiere war, sondern auch der Startschuss für eine große Karriere. Nach meiner Trennung von Baier wurde Müllers Bewunderung noch größer. Kurz vor seinem Tod verabschiedete er sich von mir bei einem Telefonat mit den Worten: „Ich liege im Sterben und möchte dir sagen, wie toll mein Leben war, ein einziger Glücksrausch. Wenn ich im Himmel bin, reserviere ich dir einen Platz. Alles Gute, Adieu“.

Welche Folgen hatte die Gründung der Messe für den Kunstbetrieb?

D.B.: Sie war eine Initialzündung und fand nach und nach weltweit Nachahmer. Alles, was gemacht wurde, heizte alles andere weiter an. Unsere Anzeigenkampagne wirkte kräftig mit, in der wir mit Preisen knapp über der Dumping-Linie allen Händler*innen, ob mit oder ohne Geld, die Chance boten, möglichst ausführlich über ihre Initiativen zu publizieren, nach Möglichkeit mit Bildern. Kunst und Kunstbetrieb expandierten. Die Grenzen der Kunst verloren sich mehr und mehr. Zur Dokumentation „Land-art“ machten wir ein Cover mit Walter de Maria in der Wüste von Nevada, das von zwei seiner eingearbeiteten, endlosen Linien durchzogen war. Die Redaktionsarbeit wurde immer anspruchsvoller.

Es war wie eine Erleuchtung frühmorgens. Vor mir auf dem Tisch sah ich eine fertige Ausgabe der neuen Zeitschrift namens KUNSTFORUM International im Paperback-Format, mit Satzspiegel.

Sie sprachen vorhin von Concept-art, der KUNSTFORUM eine Ausgabe widmete.

D.B.: Ja, der amerikanische Kunsthändler und Autor Seth Siegelaub machte eine Ausstellung in seinem Hausflur ohne ein Bild im klassischen Sinne, nur einige mit Schreibmaschine getippte Sätze mit eher laienhaften Fotos von sechs Künstler*innen. Die Concept-art war geboren, ohne dass dies bemerkt wurde. Bei der Suche nach einem / r Autor*in, die / der darüberschreiben konnte, erfuhr ich, dass bei den Aachener Nachrichten Klaus Honnef gefeuert worden war. Er war dort für den Sport zuständig, und als sein Kollege ausgefallen war, hatte er dessen Teil mit zu betreuen. Statt einer Sportseite fanden die Leser*innen einen ganzseitigen Aufsatz mit neuen Erkenntnissen über Manzoni. Dieser Mut machte die Runde in ganz Deutschland, und ich kontaktierte Honnef. Nach kurzem Austausch hatten wir uns so in Begeisterung geredet, dass er den Auftrag für eine Titelgeschichte annahm und nach New York reiste. Von dort kam er mit vielen Entdeckungen, Interviews und reichlich Bildmaterial zurück. Als Titelblatt für seinen Text wählten wir eine Postkarte von On Kawara an Konrad Fischer „I Am Still Alive“. Obwohl das Optische im Heft wenig beeindruckte, wurde es ein großer Erfolg.

Wie kam es zur Trennung von Baier?

D.B.: Die neue Linie der Zeitschrift kam überraschend gut an. Die Abonnentenzahlen stiegen, der Anzeigenteil boomte. Dennoch wurde es schwieriger, weil die Zeitschrift sich auf die insgesamt wichtigen Dinge des Kunstbetriebes hin und damit immer weiter weg von der Linie des Verlegers Alexander Baier entwickelte. Ich ging Gesprächen aus dem Weg, die Stimmung war im Keller. Aina von Benda, die als Verantwortliche für die Ausstellungsvorschau angefangen hatte, bemerkte meine bedrückte Stimmung. Sie provozierte mich mit dem Vorschlag, ohne Baier weiterzumachen. „Dazu braucht man dies und das, vor allem Kapital,“ erwiderte ich wütend. Sie ahnte nicht, dass ich daran ohne Erfolg arbeitete. Ich fand keinen Ansatz.

Das änderte sich im April 1972, als ich für zehn Tage zum Umbruch des Magazins Kunst nach Bamberg musste. Es war wie eine Erleuchtung frühmorgens. Vor mir auf dem Tisch sah ich eine fertige Ausgabe der neuen Zeitschrift namens KUNSTFORUM International im Paperback-Format, mit Satzspiegel. Es stellte sich heraus, dass wir auf einem quergestellten DINA 4 Format zweimal das gleiche in DIN A5 drucken konnten, das hieß die doppelte Menge für den gleichen Preis. An ganzseitigen Anzeigen, für die wir den gleichen Preis wie die Konkurrenten forderten, konnten wir das Doppelte verdienen, zudem 240 Seiten zum Preis von bisher 120 Seiten drucken. Für die Leser*innen und Anzeigenkund*innen war die minimale Verkleinerung des Magazins kein Problem, sie hatte sogar einen psychologischen Wertsteigerungseffekt, da KUNSTFORUM durch Seitenzahl und Format Buchcharakter bekam.

Der Wille zum Enzyklopädischen

Bestand von Anfang an die Idee, KUNSTFORUM als Enzyklopädie anzulegen?

D.B.: Vielleicht nicht sofort, aber das Konzept zielte darauf. Jede Ausgabe sollte eine Titeldokumentation zu neuen Stilrichtungen, Medien, Ländern, Regionen und neuen Präsentationsformen wie Messen oder Biennalen sein, für die Spezialist*innen, externe Fremdherausgeber*innen beauftragt wurden, die wiederum geeignete Autor*innen zur Vertiefung bestimmter Aspekte ins Boot holten. So wurden die KUNSTFORUM–Bände zu einer fortlaufenden Enzyklopädie in Form von Essays, Reportagen, Gesprächen, Rezensionen und Berichten.

Wann kam der Abschied von Baier? Und: Wie ging es weiter?

D.B.: Zunächst geisterte die Vision nur in meinem Kopf. Aus Sorge, die Idee könnte verloren gehen, hielt ich sie schriftlich fest und verließ zwei Tage lang das Hotelzimmer nicht. Zurück in Mainz wollte ich Baier umgehend kündigen, doch er war im Urlaub. Ich schrieb ihm eine Postkarte. Er nahm sie nicht ernst, weil er den Aufbau eines neuen Verlages für unmöglich hielt. Er glaubte, ich wollte um mehr Geld pokern.

Was war der nächste Schritt?

D.B.: Als Verlagssitz fanden wir, Aina, ihre Tochter Claudia und ich ein schönes, etwas heruntergekommenes Haus in Mainz aus der Gründerzeit in Hafennähe. Nach und nach wurde unsere Adresse im Kunstbetrieb bekannt, das Foto unseres Klingelschildes in der Presse veröffentlicht, und wir bekamen immer mehr Besuch von Künstler*innen, Kritiker*innen und Galerist*innen. Für die Abo-Werbung bereiteten wir Prospekte in mehreren Sprachen vor, in denen wir unser Konzept im Unterschied zu anderen Magazinen beschrieben. Es fand Zuspruch bei vielen bekannten Künstler*innen, die uns kostenlos Grafik-Auflagen schenkten, die wir zu jedem neuen Abo dazugaben. Eines Tages kam ein Anruf von Wolf Vostell, der sich auf der Rückreise von Mailand befand und seinen Besuch ankündigte. Wir wunderten uns, dass er sich bei uns und nicht bei Baier meldete, mit dem er Happenings und jede Menge Grafikauflagen gemacht hatte. Als ich ihm von unserem Versuch erzählte, mit Künstler*innengrafiken unsere Abonnentenauflage zu erhöhen, erklärte er sich bereit, mit einem Triptychon zu „Autofieber“ mitzumachen. Die entsprechende Werbung im nächsten KUNST FORUM wurde wenige Tage später per einstweiliger Verfügung von Baier mit der Begründung verboten: Der Wert der Vostell-Grafiken sei zu hoch, um als Zugabe in einer Werbekampagne zugelassen zu sein. Vostell erklärte die Sache zum Happening und machte eine 500er Auflage der Grafik mit Faksimiles und Stempel.

Wissend, was alles an wichtiger deutscher Kunst nicht publiziert worden ist, mussten wir aufpassen, nicht dem Nachholzwang zu erliegen. Wichtig war, auf das gerade Entstehende und die als bedeutend erkannten Arbeiten angemessen zu reagieren, was vorher wegen diverser Zwänge und Zusatzbedingungen unmöglich war. Damals betätigten sich immer mehr deutsche Galerien aktiv in New York, wodurch die Bedeutung der deutschen Kunstszene dort stärker als bei uns in den Fokus rückte. Immer mehr Galerien wie Werner, Block, Friedrich oder Onnasch operierten international mit Standorten auf beiden Kontinenten. Eines Tages überraschte uns Franz Dahlem mit seinem Auftauchen. Als Händler, bekannt dafür, seinen Willen durchzusetzen, hatte er die Sammlung Ströher um- und aufgebaut und die Sammlung Kraushaar in New York hinzugekauft. Von Hause aus Bierbrauer, hatte er zusammen mit Heiner Friedrich, dem Erben der Friedrich-Kugellagerwerke und seinerzeit Philosophie-Student in München, seine Galerie eröffnet, mit sensationellen Ausstellungen, beispielsweise mit Walter de Maria. „Mit der ersten Nummer hast du allen im Kunstbetrieb freundlich zugewinkt,“ sagte Dahlem zu mir: „Jetzt musst du anfangen, ihnen die Hand zu schütteln, aber nicht allen.“ Und ich erzählte ihm, mit dem Gedanken gespielt zu haben, seinen Baselitz aufs Cover zu setzen. Ich hätte mich dann aber für etwas Allgemeineres entschieden. Ich wollte nicht mit Baselitz auf eine bestimmte Ecke im Kunstbetrieb festgelegt werden. Meiner Strategie und der Linie von KUNSTFORUM zollte er seinen Respekt. Da er auch Arnulf Rainer vertrat, bot er mir Text- und Bildmaterial für ein Heft zu seinem Gesamtwerk an. Wegen der guten Zubereitung lief das schnell über die Bühne. Mit Friedrich, der, inzwischen in Amerika, dort in das Haus de Menil (Dallas) eingeheiratet hatte, kam Dahlem ein anderes Mal vorbei, um ihn in meine Hexenküche zu führen. Er staunte, wie ich ohne die üblichen Maschinen meine Filme mit der Hand im Entwicklerbad behandelte. Um unser Projekt zu fördern, schaltete er eine zehnseitige Anzeige für Walter de Maria. „Nächste Woche besucht mich Blinky Palermo in Darmstadt. Soll er kurz vorher bei dir vorbeikommen,“ fragte er. Palermo kam, richtete ein kleines Blatt in unserem Heftformat mit dem kleinen Signet ein und zeichnete ein kleines Feld auf der Mitte des Blattes als Bemaßung für den Abdruck seiner grauen Fläche ein. Das Heft mit der Palermo-Monografie ging in Druck.

Als die Kunstmessen zu boomen begannen

Das war zu der Zeit, als die Kunst-Messen boomten.

D.B.: Ja, zwischen Köln und Düsseldorf war ein Zweikampf ausgebrochen, der wegen der immer mehr werdenden Galerien notwendig wurde. Die Kölner bemühten sich um Abschottung, andere drängten auf Offenheit. Basel war durch und durch international und elitärer. Dort traf ich 1975 Werner Lippert, der die Kunstzeitschrift EXTRA mit zertifizierten Originalarbeiten weltbekannter Künstler*innen machte, so elitär, dass ich ein wenig neidisch war. Es zeigte sich, dass diese mit KUNSTFORUM nicht vergleichbar war, da er ohne Text und Korrespondenten arbeitete. Doch hatte er mein Interesse so angeheizt, dass ich fragte, was es kosten würde, die Zeitschrift zu kaufen. Er erzählte mir, es liefe nicht so gut, wie es schien, und die supergestalteten Galerieanzeigen trügen weniger zum Etat als zum Image bei. Dann nannte er die symbolische Summe von 5.000 DM unter der Bedingung, dass er am KUNSTFORUM mitarbeiten könnte. Noch im Sommer fing er bei uns an und setzte als erstes seine eigene Titeldokumentation über das Selbstporträt um.

Apropos Documenta, schon bald begann KUNSTFORUM mit dem Dokumentieren der Biennale.

D.B.: Ja, das begann in Basel bei dem Treffen mit Lippert in Begleitung des Fotografen Jonny Zurmühl, den ich fragte, ob er sich vorstellen könne, für uns zu fotografieren. Seit langem hatte ich die Idee, große Ausstellungen als Fotorundgänge möglichst vollständig zu publizieren. Ich dachte an dreißig Großaufnahmen in der Hauptausstellung, auf denen so viel wie möglich zu sehen ist. Zurmühl lieferte uns hervorragende Fotos, doch ließ er nicht zu, dass wir hier oder da nur einen Ausschnitt nahmen. Für ihn waren seine Fotografien Kunstwerke. Wir druckten sie zwar, doch das Ergebnis hatte nichts mit dem zu tun, was wir beabsichtigten. Zehn Jahre später, wieder in Venedig, gab es auf Guidecca eine große Fluxus-Retrospektive. Dieter Daniels schickte uns seinen Bericht mit einem dicken Fotopaket. Als wir es sichteten, hatten wir die Zuversicht, unser Projekt Ausstellungsrundgänge doch noch so realisieren zu können, wie wir es uns vorstellten. Ich sprach mit Wolfgang Träger, der seitdem für uns weltweit alle großen Fotorundgänge macht, von Shanghai über Moskau und Berlin bis nach Feuerland. Die Bildstrecken zur documenta kamen bis zu dessen Tod 2009 von Dieter Schwerdtle, der gut vernetzt in Kassel wohnte.

Wie war die finanzielle Situation von KUNSTFORUM zu der Zeit?

D.B.: Mit jeder Verbesserung stieg von Jahr zu Jahr unser Abo-Bestand, doch es war nicht einmal die Hälfte von dem, was wir auf Dauer brauchten. Doch wieder einmal hatten wir Glück. Nach Erscheinen des Bandes 13 erreichte uns eine Postkarte von Franz Greno, dem Buchgestalter und Verleger vom „2001 Verlag“: „Ich halte gerade in der Stuttgarter Buchhandlung Niedlich Ihr Heft in Händen. Es gefällt mir ausgesprochen gut. Ich biete Ihnen an, es noch preiswerter und schneller zu drucken.“ Ich war verblüfft. Bei unserem Treffen machte er ein Angebot zum Druck des nächsten Bandes. Wir vereinbarten die Termine, die Materialübergabe und die Form der Auslieferung. Alles klappte reibungslos. Nach der Auslieferung sagte er, er habe bei der Kalkulation schwere Klimmzüge gemacht, weil er gesehen habe, dass bei uns schon alles am Optimum ausgerichtet war, und bot uns an, für ihn zu arbeiten. Er habe etliche Projekte in Planung und Arbeit. Neben Foto- und Filmbüchern auch Song-Books und die Zeitschriften „Kursbuch“ und „Akzente“. Neben der Herstellung ergab sich eine weitere Kooperation. Der „2001 Verlag“ druckte einen Teil unserer Titeldokumentationen aus dem Bereich Fotografie mit eigenem Umschlag auf größerem Papier nach. Es war die Zeit, in der die Fotografie dank Klaus Honnef durch die documenta als gleichberechtigte Kunstform in den Kunstbetrieb eingeführt wurde. Wir machten mehrere Sonderhefte zur Geschichte der Fotografie, den wichtigsten Fotografen und diversen Aspekten der Fotografie. Honnef schrieb einen Großteil der Texte. Der Band „150 Jahre Fotografie“ wurde ein Bestseller. Nach drei Jahren der Kooperation waren wir saniert und hatten Reserven aufgebaut.

Die Umstellung von Schwarzweiß auf Farbe kam bezeichnenderweise mit dem Comeback der Malerei.

D.B.: Ja, zu Zeiten von Concept- und Story Art und der Aufarbeitung der Fotografie erschien KUNSTFORUM in Schwarzweiß und einige Monografien mit einer kleinen schmückenden Farbeinlage. Dass auf diese unsinnliche Kunst ein Hunger nach Bildern folgen würde, davon zeugte die Ausstellung „Europa 79“ in Stuttgart mit farbfrohen Gemälden junger Italiener wie Sandro Chia oder Francesco Clemente. In dem Zusammenhang berichtete Wolfgang Max Faust mir, er bereite für die Galerie Paul Maenz eine große Zusammenfassung deutscher Tendenzen vor. Gleichzeitig waren Christos Joachimides und Norman Ronsenthal dabei, für 1981 in der Royal Academy of Arts die Ausstellung „A New Spirit in Painting“ in London zu konzipieren. Wir fragten uns, wie wir auf die pinselschwingenden Meister mit einem Heft reagieren können. Mit unseren grauen Seiten bestimmt nicht. Es ging nur in Farbe.

Wir starteten Forschungsreihen mit diversen Litho-Anstalten. Sämtliche Versuche erwiesen sich als nicht funktionabel. Es bedurfte einer unkonventionellen Lösung. Erst als wir unsere Denk- und Herangehensweise komplett auf den Kopf stellten, kam uns eine völlig absurd klingende Idee. Trotzdem tüftelten wir im Geheimen daran.

Eine Druckerei zu finden, die zu einer Umstellung auf unser Farbverfahren bereit war und das Geheimnis für sich behielt, war nicht einfach. Die mir bekannten arbeiteten mit den konventionellen Verfahren. Wieder einmal war uns der Zufall hold. Ein junger Mann namens Robert Kump aus Darmstadt fragte uns, ob wir etwas zu drucken hätten. Er könne in seinem mittelgroßen Betrieb bis zum Rollenoffset alles drucken. Ich erzählte ihm von der Erfindung unseres neuen Farbdruckverfahrens und den sich beim Umstellen ergebenden Problemen. Er sah nur die Vorteile, druckte erst den Jubiläumsband und dann alle folgenden Hefte. Jahre später übernahm sein Sohn den Betrieb mit gleichem Enthusiasmus.

Die Vernetzung der Kunst mit Mode, Sport, Architektur, Philosophie und Literatur

Andrea Bechtloff: Überhaupt war KUNSTFORUM in all den Jahren nur möglich, weil wir von Anfang an alles selbst gemacht haben, mit Nullwissen, geradezu dilettantisch. Überschriften wurden mit Letraset gesetzt, dann mit der Kamera aufgenommen und schließlich montiert. So ließ sich der Druck finanzieren. Und gerade, weil Dieter so unwissend war und die Dinge mehr wie ein Künstler betrachtete, konnte er solche Ideen aushecken. Wenn er wieder einmal mit einer so unrealistisch wirkenden kam, raufte ich mir die Haare. „Oh Gott,“ sagte ich, „wieder so eine spinnerte Idee!“ Doch er dachte immer alles vom Ende her. So war es auch mit der Anschaffung der ersten Computer. Den ersten von gigantischer Größe, der einen ganzen Raum in Beschlag nahm, hatten wir bereits in Köln für die Verwaltung der 10.000 Abonnements. In Kuchem ging er noch einen Schritt weiter und wollte Personal Computer einsetzen. Obwohl die ersten enorm teuer waren, war er fest davon überzeugt, dass das Umsteigen auf Computer und die digitale Welt die Zukunft sei. Was das betraf, da hatte das Büro Ralf Dank große Verdienste, mit dem wir drei Jahrzehnte zusammengearbeitet haben. Ohne ihn wäre das Archiv nie entstanden. Schon früh hat Dank sich in alle Computerzeitschriften vertieft, die es auf Deutsch oder Englisch gab. Da haben sich zwei Selfmademen gefunden, die sich gegenseitig ergänzten. So beschritt KUNSTFORUM neue Wege. Ja, man kann es nicht anders sagen: Dieter ist ein Autodidakt, der mit dem Kopf durch die Wand geht. Dass KUNSTFORUM das geworden ist, was es heute ist, war möglich, weil er wie ein Künstler agiert, dessen Denken keine Grenzen kennt.

D.B.: Wenn ich heute zurückblicke, denke ich auch: „Oh Gott“, weil ich mir erst jetzt der Risiken bewusst bin, die ich damals eingegangen bin. Doch dadurch waren wir immer mehr vorne dran. Die Digitalisierung der Arbeitsprozesse und die Erschließung der digitalen Welt erwiesen sich als zwingend, insofern sich das Internet im Kunstbetrieb mehr und mehr durchsetzte. Damals war bei Konsumenten die Haltung verbreitet, alles im Internet sei kostenlos. Dies bedeutete für Zeitschriften den Tod. Das Büro Dank bastelte an einer KUNST-FORUM–Seite, ähnlich der gedruckten Form, nur aktueller. Mir lag an einem Archiv, das alles bisher Publizierte enthält. Da bis zum Band 100 alles nur analog zur Verfügung stand, mussten sämtliche Texte und Bilder eingescannt werden. Das dauerte drei Jahre. Mit mehr als 200.000 Bildern und 30.000 Texten verfügen wir heute über eine der größten Datenbanken im Bereich zeitgenössische Kunst.

Haben Sie nie bereut, nicht Künstler geworden zu sein?

D.B.: Ich habe nie aufgehört, einer werden zu wollen.

Es fällt auf, dass KUNSTFORUM auch die Verbindungen der Kunst zu Mode, Sport, Essen, Architektur, Naturwissenschaften, Philosophie und Literatur zu erschließen versucht.

D.B.: Ja, die Beziehung der Kunst zur Literatur interessierte mich beispielsweise wegen meiner Begeisterung für den französischen Nouveau Roman, für Robbe-Grillet, Nathalie Sarraute, Michel Butor, auch im Hinblick auf die Technik des Schreibens. Mit Ihren Vorschlägen, Herr Jocks, mit Schriftstellern über Kunst zu reden, die zu dem Doppelband „Kunst und Literatur“ führten, konnten wir eine Lücke schließen. Was die Philosophie betrifft, so erhielten wir, weil bei uns die dringenden Kunstdebatten geführt wurden, vermehrt Essays von Philosophen. Es hatte etwas von einer Eroberung. Wolfgang Welsch war der erste. Mit seinem Text zur Ästhetisierung der Umwelt öffnete er uns die Augen dafür, dass es neben der allgemein wahrnehmbaren Ästhetisierung auch noch eine innere gibt, die von dem, was man zunächst sieht, abweicht und ganz andere Schlüsse nahelegt.

Diese Beiträge wurden von den Lesern nicht angemessen wahrgenommen. Es fehlte eine Rubrik. Da offerierte Florian Rötzer, der gut vernetzt war, eine Interviewserie mit den angesagtesten Philosophen und lieferte gleichzeitig ein Heft mit den großen Naturwissenschaftlern. Es ging um „Das Neue Bild“ der Welt. Hefte wie „Große Gefühle“ folgten in dem Zusammenhang. Und Gerhard Johann Lischka machte 1990 das Heft „Aktuelles Denken“, in denen Jean Baudrillard, Jean-François Lyotard in Interviews zu Wort kamen, die er für das Nachtprogramm des Rundfunks in Bern produziert hatte. Immer stärker mischten sich Philosophen auch in das Kuratieren von Ausstellungen ein, so Lyotard mit seiner aufsehenerregenden Ausstellung „Les immatériaux“ 1985 im Centre Pompidou. Gerade noch rechtzeitig entschieden wir uns, „Kunst und Philosophie“ zum Thema unseres Jubiläumsbandes Band 100 zu machen. Eines Tages bot uns Vilém Flusser eine vierseitige Kolumne an.

Nach seiner Flucht aus Prag vor den Nazis hatte er den Großteil seines Lebens in Brasilien als Professor verbracht und lebte seit einiger Zeit in Frankreich. Nach seiner Rückkehr in den Kulturbereich seiner Heimat wollte er diese wiedersehen, vor allem Prag. Diese Reise an einem verregneten Abend endete tödlich mit einem Unfall per Aufprall auf einen wenig beleuchteten Laster.

Gedankensprung, Sie sagten, ein Grund für den Umzug nach Köln 1982 sei gewesen, dass es dort leichter war, Mitarbeiter*innen zu finden. Wieso fand die Zusammenarbeit mit Walter Grasskamp als Chefredakteur ein jähes Ende?

D.B.: Um darauf zu antworten, muss ich weiter ausholen. Entscheidend für die Aktualität von KUNSTFORUM war häufigeres Erscheinen, statt alle zwei Monate monatlich. Material und Titelthemen waren im Überfluss vorhanden, sie konnten bei häufigerem Erscheinen besser verteilt werden. Wir brauchten Verstärkung und sprachen mit Annelie Pohlen, die fortan den Ausstellungsteil betreute, mit Claudia Schedlich, der Tochter meiner damaligen Partnerin Aina von Benda, die die gesamte Herstellung übernahm, und mit Walter Grasskamp, dem Schüler von Bazon Brock, der Chefredakteur werden wollte. Zusätzlich stellten wir Redaktionsassistent*innen ein, so kam Andrea zu uns. Zum Problem wurden meine Unerfahrenheit im Umgang mit so viel Personal und Grasskamps Allüren als Chefredakteur. Es kam zu Konflikten und einem von ihm angestrengten Prozess vor dem Arbeitsgericht, den er verlor. Die Zusammenarbeit fand so ein Ende.

A.B.: Es ging nichts mehr. Die Hefte wurden dünner. Tagelang warteten Claudia und ich vergeblich auf Material. Doch nichts kam, weil er über die Gespräche mit Künstler*innen, die er im Büro empfing, die eigentliche Arbeit vergaß. Das war für Dieter auch deshalb eine Enttäuschung, weil er immer noch davon träumte, Künstler zu werden, und hoffte, dafür mehr Zeit zu finden, wenn Grasskamp Chefredakteur ist. Als wir später nach Ruppichteroth aus der Stadt hinaus aufs Land zogen, hoffte Dieter, Kunst in dem großen hellen Raum mit Nordfenster und der Kegelbahn machen zu können, die zu dem verrückten Haus gehörte. Er kam dann doch zu dem Schluss, dass KUNSTFORUM sein eigentliches Kunstwerk ist.

Der Umzug nach Ruppichteroth

Wie kam es zum Umzug aufs Land?

D.B.: Es gab einen Wasserschaden in Köln und andere Probleme, wegen denen Andrea und ich nach geeigneten Räumen suchten. In einem Café beim Durchblättern der Wochenendausgaben mit Immobilienteil stießen wir auf die Anzeige: „Nähe Winter scheider Mühle, Einfamilienhaus 800 qm Wohnfläche, Schwimmbad, Sauna, Kegelbahn, Schießstand auf 4.000 qm Grund.“ Andrea kannte die Gegend, und obwohl Sonntag war, riefen wir den Makler an. Wider Erwarten nahm er ab und gab uns die Adresse. Wir fuhren zur Besichtigung hinaus. Es handelte sich um ein extrem großes Objekt einer Zwangsversteigerung, das so günstig war, dass wir es erwerben konnten.

Andrea, wie kamst du zu KUNSTFORUM? Dein Mann erwähnte, dass du als Redaktionsassistentin angefangen hast.

A.B.: Ja, aber das war für mich nur als Zwischenlösung gedacht. Während meines Studiums jobbte ich in der Kölner Dependance der Dia Art Foundation, einem Ableger der berühmten New Yorker Institution, und „bewachte“ am Wochenende eine Ausstellung von Imi Knoebel in den wunderbaren, von Franz Dahlem geleiteten Räumen. Er wollte, dass diese die ganze Woche durchgehend zu sehen ist. Von dort wurde auch die 7000 Eichen Aktion von Beuys betreut. In der Zeit lernte ich viel über den damaligen Kunstbetrieb. Franz war ein hervorragender Lehrmeister und extrem gut vernetzt. Als bekannt wurde, dass die Dia Art schließen sollte und ich deshalb einen neuen Job suchte, sagte er 1982 zu mir: „Dieter Bechtloff kommt mit seinem KUNSTFORUM nach Köln und sucht Hilfe in der Redaktion. Ich werde ihn anrufen und dich ankündigen.“ Daraus wurde dann mehr als eine Übergangslösung.

Ob in China, Paris oder anderswo, ich werde immer wieder gefragt, warum KUNSTFORUM mit seiner internationalen Ausrichtung nicht zweisprachig erscheint.

D.B: Die Idee schwirrte mir häufiger durch den Kopf. Ich hatte mich mehrmals mit Michael Werner getroffen, der seit Jahren ein Standbein in New York hatte. Er, sehr daran interessiert, dass wir unsere Aktivitäten nach Amerika ausdehnen, wollte uns helfen. Wir dachten in alle Richtungen, probierten einiges aus, doch schien es keinen Sinn zu machen. Es sei denn, man würde etwas eng Umgrenztes ins Auge fassen, etwas, das außerhalb unserer Zeitschrift läge, wie die Förderung einer bestimmten Szene, die noch keiner im Fokus hatte.

Nach dem Zusammenbruch der DDR

Nach dem Mauerfall 1989 richteten Sie die Aufmerksamkeit auch auf die Kunstszene in der DDR.

D.B. Ja, wir waren schon vorher gut informiert über die offizielle und auch über die inoffizielle Kunst. Die offizielle verdankte ihre Verbreitung im Westen vor allem dem Ehrgeiz des Kunstimperators Ludwig. Sie schaffte es 1977 sogar auf die documenta 6 in Kassel. Am Eröffnungsabend lernten wir die Maler fast vollzählig in dem Italiener da Bruno kennen, der damals der In-Treffpunkt der Documenta war. Doch durch diesen verdeckt offiziellen Druck verging uns die Lust, sich die Bilder genau anzuschauen. Wir stuften sie als „provinziell“ ein. Später zwang ein zweiter Blick zu einer qualifizierteren Bewertung.

Dieter ist ein Autodidakt, der mit dem Kopf durch die Wand geht. Dass KUNSTFORUM das geworden ist, was es heute ist, war möglich, weil er wie ein Künstler agiert, dessen Denken keine Grenzen kennt.

Der inoffiziellen Kunst haftete das Etikett der Schmugglerware an. Man wusste nie genau, wie Pencks Bilder in den Westen gelangten. Baselitz, der dieser ehemaligen DDR-Clique zugerechnet wurde, war bereits, als es noch kein großes Risiko war, in den Westen gegangen. Auch Gerhard Richter kam aus dem Osten. Aufgrund ihrer weltweiten Vertretung durch die besten Galerien und auf den besten Messen und durch Ausstellungen in wichtigen Museen gelang diesen Künstlern der Sprung in den Rang sogenannter Weltkünstler. Unbekannt war, auf welche Weise das funktionierte.

In dem Zusammenhang fiel wiederholt der Name Jürgen Schweinebraden. Von Haus aus Psychologe, wurde er zum „Helden der Kunst“. Man hörte von Restriktionen, Schikanen, Verfolgungen, Schmierereien, Überwachungen, teilweise von bis zu 50 Mitarbeitern der Stasi, die mit Personen-, Telefon- und Postüberwachung rund um die Uhr beschäftigt waren, und vom Entzug seiner Existenzbasis als Leiter der Ehe- und Sexualberatungsstelle in Berlin Treptow. Der Zug fuhr nicht nur in eine Richtung, er zeigte auch wichtige Künstler*innen aus dem Westen. Hin und wieder erhielten wir von ihm kurze Nachrichten, und jedes Mal, wenn bei uns eine Postkarte eintraf, zogen wir den Hut vor seinem Mut.

A.B: Kurz nach dem Mauerfall planten wir ein Heft zur DDR-Kunst, zu den unterschiedlichen Selbstverständnissen und Herangehensweisen, dem Einfluss des Eingebundenseins unterschiedlicher Geschichtsverläufe auf die Kunst. Brauchte man vor dem Niedergang der DDR ein Tagesvisum, so fuhr man jetzt direkt mit dem Taxi vom Kudamm durch das Brandenburger Tor. Thomas Wulffen, der mehrere KUNSTFORUM-Bände betreut hatte, organisierte die Kontakte mit Autor*innen, Künstler*innen, Kurator*innen von hüben wie drüben. Besprechungsort war die Lobby des Interhotels. Ein glücklicher Zufall spielte uns ein Konvolut von Interviews mit Künstlern in die Hände, die ihre Ateliers am Prenzlauer Berg oder nahe der Mauer hatten. Durch diese Dokumente erfuhren wir mehr über die kollektive, schizophrene Gefühlslage. Keiner wusste, wie es weitergehen würde oder sollte. Es herrschte nicht nur Hoffnung auf Neues, die Freiheit hieß, sondern auch Trauer, Melancholie und Angst vor dem Verlust der minimalen Sicherheit, in die man sich eingerichtet hatte. Nach und nach entstand der Band 109 zur „Umbruch-Zeit“ mit Autor*innen von beiden Seiten der ehemaligen Grenze, die ihre Sicht auf den historischen Umbruch vermittelten.

Im Gegensatz zu anderen Kunstmagazinen ist KUNSTFORUM eine reine Abonnentenzeitschrift. Warum?

A.B.: Es sichert dem KUNSTFORUM auch in Krisen seine Existenz und garantiert eine inhaltliche Unabhängigkeit. Selbst wenn es zu einer Delle durch Kündigungen kommt, ist, weil nicht alle gleichzeitig kündigen, immer noch ein stabiler Finanzsockel da, der das Weitermachen ermöglicht. So erlebten wir es sowohl, als die Digitalisierung eine Krise der Medienlandschaft auslöste, als auch in der Finanzkrise 2007 / 2008. Wären wir auf den Einzelverkauf angewiesen, brächte dies eine erhebliche Unsicherheit mit sich. Einzelne Ausgaben würden besonders gut, andere schlechter laufen. Wir sähen uns gezwungen, uns bei der Themenauswahl nach den Trends zu richten, statt sie zu setzen. Den Marktfluktuationen weniger unterworfen, sind wir marktunabhängiger und freier. Dieter war da immer sehr strikt und machte keine Ausnahmen, und ich habe es so fortgeführt und halte es für ein extrem wichtiges Essentiell der Zeitschrift.

D.B.: So unabhängig wie möglich von allen und allem zu sein, ist unser Prinzip auch in Bezug auf die Autor*innen. KUNSTFORUM verstand sich von Anfang an als Autor*innenzeitschrift und Informationsmedium. Uns lag daran, dass die Autor*innen so frei wie möglich berichten, statt ihnen in das reinzureden, was und wie sie etwas machen. Nie wurde etwas ungefragt umgeschrieben. Immer Originaltexte. Die Erfahrung zeigte, dass es für Autor*innen motivierender ist, wenn man ihnen freie Hand lässt.

Wichtig ist uns der sich in dem Namen widerspiegelnde Charakter eines Forums, in dem unterschiedliche Haltungen, Denkansätze, Meinungen und Haltungen zur Sprache kommen, und jeder seinen individuellen Stil entfalten kann. Das Heteronome ist uns so relevant wie das Durchscheinen der Persönlichkeit der Autor*innen, die sich auch darin ausdrückt, wie sie z. B. Gespräche machen. Mal sind sie kunsthistorisch, mal philosophisch ausgerichtet, mal autobiographisch angelegt, mal existentiell, mal anekdotisch. Das macht den Reichtum und die Meinungsvielfalt von KUNSTFORUM aus.

Außerdem kann man als Magazinmacher*in gar nicht Experte oder Expertin für die vielen Themen sein, die KUNSTFORUM abdeckt. Das zu behaupten, wäre vermessen. So zu arbeiten, setzt Vertrauen voraus, und das gewinnt man durch Zusammenarbeit.

Sie sind nie in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten, haben an keinen Podiumsdiskussionen teilgenommen. Warum diese selbstauferlegte Enthaltsamkeit bezüglich öffentlicher Auftritte?

D.B.: Es war mir nicht wichtig, und ich wollte keine Zeit für Unnötiges vergeuden. Auf dem Podium zu sitzen, war mir nie ein Äquivalent für die Redaktionsarbeit.

A.B.: Im Gegenteil. Ich halte es für kontraproduktiv, wenn man sich zu viel in die Öffentlichkeit begibt. Allzu leicht rutscht man in emotionale Verstrickungen von Versprechungen. Davor sollte man sich hüten. Je mehr Distanz man zum Kunstbetrieb hält, um so objektiver lassen sich die Dinge beurteilen und sehen. Würde man sich auf alles einlassen, was an einem herangetragen wird, stünde man unter ständigem Zugzwang. Man muss es so selektiv machen, dass es keinen Einfluss auf Ausrichtung und Auswahl hat. Uns verbinden einige wenige alte Freundschaften mit Künstler*innen, aber diese erwarten von uns nicht, dass über sie laufend berichtet wird.

Der Wechsel

2014, im Alter von 71 Jahren, mussten Sie sich aus gesundheitlichen Gründen komplett zurückziehen und Andrea alles übergeben.

D.B.: Ja, es ging nicht mehr. Andererseits waren auch die für KUNSTFORUM wesentlichen Dinge in die Wege geleitet. Auch der Lärm der Kunstzeitschriften, die Jahrzehnte mit allen Mitteln gegeneinander kämpften, war verstummt. Zeitschriften wie Das Kunstwerk, Magazin KUNST, pan, Galerie der Künste, K wie Kunst, artis, Kunstinformation, Wolkenkratzer, Noema, Kunstquartal, etc. existierten nicht mehr. Dafür kamen neue Namen auf den Markt.

A.B.: Der Übergang verlief alles andere als organisch, völlig abrupt. Als Dieter im Krankenhaus lag, wussten wir nicht, ob er da wieder herauskommt, und wir hatten gleichzeitig eine Steuerprüfung vor der Tür. Durch den immensen Zusammenhalt und Unterstützung unserer Familie, – sowohl von Franziska, unserer Tochter, und von Benjamin, unserem Sohn –, war es machbar, den Verlag weiterzuführen. Ich war so weit eingearbeitet, dass ich einspringen konnte. Seit 1982 war ich in alle nur denkbaren Funktionen Teil des Verlages, habe in den Bereichen Layout, Anzeigen, Herstellung, Verwaltung alles gemacht. In den letzten Jahren vor Dieters Ausstieg hatte ich auch immer mehr redaktionelle Verantwortung für sämtliche Teile der Zeitschrift übernommen.

D.B.: Andrea war auch in all den Jahren aktiv dabei, wenn Strategien, Konzepte und Layouts entwickelt wurden und wir uns zu Gesprächen mit Autor*innen trafen.

A.B.: Da ich aber von betriebswirtschaftlichen Dingen nichts verstand, stieg glücklicherweise Franziska, unsere Tochter spontan mit ein, die noch mitten im Studium war und Medienmanagement in New York und Köln studierte. Sie zögerte keine Sekunde, uns darin zu unterstützen, KUNSTFORUM wieder auf stabile Füße zu stellen. Sie gab dem Verlag wesentliche Impulse, um die Zeitschrift äußerlich und organisatorisch in die Zukunft zu führen. Auch personell bewirkte sie sehr viel und half beim Aufbau eines tollen Mitarbeiter*innen-Teams. Um dies zu realisieren, zogen wir dann 2014 aus dem Bergischen wieder nach Köln.

Was hat sich seitdem geändert?

AB: Wir haben an der DNA der Zeitschrift nichts verändert, merkten aber, dass wir das Layout modernisieren sollten und auch die Website auf eine sowohl technische als auch optisch neue Basis stellen mussten. Wir überlegten, wer es machen könnte. Wir dachten zwar an die Designagentur Meiré und Meiré, die sich auf Markenstrategie, visuelle Identität und ganzheitliche Markenerlebnisse spezialisiert hat, hielten es aber wegen ihres Renommees und, weil wir es sicherlich nicht bezahlen könnten, für vollkommen aussichtslos. Zufälligerweise kam unser Büronachbar, ein Freund von Franziska bei uns vorbei, mit dem wir uns darüber unterhielten, und er ermutigte uns, doch einfach nachzufragen. Ein Tag nach Verschickung eines Briefes an Meiré und Meiré erhielten wir einen Anruf: „Mike würde Euch gerne kennenlernen. Er ist ein Fan von KUNSTFORUM.“ Begeistert war er von der Idee, das Design zu transformieren, es sanft zu modellieren, aber mit dem Titel einen krassen Einschnitt zu machen. Er wollte es unbedingt machen, damit kein anderer es tut. Wir waren fassungslos. Ein Glücksfall.

D.B.: Ja, er hat ein sensationell gutes Re-Design entwickelt und damit KUNSTFORUM schlagartig wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. KUNSTFORUM lebt jetzt als gedrucktes Objekt und gleichzeitig im Internet als teilweise interaktives Medium und gleichzeitig auf den Handys, für jeden jederzeit abrufbar.

Andrea, wovon hast du in den zehn Jahren, die du die Redaktion geleitet hast, die Auswahl eines Themas abhängig gemacht?

A.B.: Eine große Rolle spielen dabei Instinkt und das Vertrauen in die Mitarbeiter*innen, die viel unterwegs und bestens vernetzt sind, die Diskussionen aktiv verfolgen und dadurch auf relevante Themen stoßen. Im Grunde funktioniert das im Laufe von fünf Jahrzehnten gewachsene Netzwerk von KUNSTFORUM wie ein Sieb, das alles auffängt, was sich im Kunstbetrieb tut und verändert. Dieter hatte früher einen Karteiwagen mit Materialien, die er nach Themen sortierte. Später haben wir das digitalisiert, in Ordner angelegt. Dieter ist manchmal auch auf Autoren zugegangen, wenn er ein Thema unbedingt behandelt haben wollte. So habe ich es auch gemacht. Für einen Band zum Thema Heimat, der von Oliver Zybok und Rosa Windt in diesem Jahr herausgegeben werden wird, habe ich schon seit zehn Jahren Materialien gesammelt. Wir sprachen miteinander. Ohne das Wort Heimat zu verwenden, umschrieb Zybok das Sujet, und ich sagte daraufhin: „Sie denken an Heimat im weitesten Sinne.“ Zu den beiden von Jürgen Raap herausgegebenen Bänden „Essen und Trinken“ hatte Dieter so viel gesammelt, dass es an der Zeit war, dazu etwas zu machen. Man ist wie ein Seismograph, der vieles wahrnimmt. Plötzlich verdichtet es sich. Vieles entsteht in der Diskussion. Unsere Kinder sagen immer: „KUNSTFORUM war das dritte Kind, das mit am Tisch saß.“

Manche Themen werden uns mit einem total durchkonzipierten Konzept angeboten, andere durch Gespräche auf den Punkt gebracht und viele Jahre später wieder aktuell, es ist ein bisschen wie mit der Mode. Ein Beispiel dafür sind der Band „Das Schöne“ von Martin Seidel oder der von The Collective Eye konzipierte Band „All together now!“ zur kollektiven Praxis. Weil sich die Welt und die Kunst wandeln und sich jede / r Autor*in einem Thema mit seinem Blick und Stil annähert, kann die erneute Betrachtung unter den aktuellen Gegebenheiten Sinn machen, nottun und spannend sein. Zudem ist jedes Thema von einer Komplexität, die sich nie ganz erfassen lässt. Deshalb haben wir in frühere Zeiten manchmal zu einem Thema zwei Hefte – Doppelbände – gemacht.

2019 habt Ihr KUNSTFORUM an den Hirmer Verlag verkauft. Wie kam es dazu?

A.B.: Es zeichnete sich ab, dass Franziska aufhören wollte. Sie hatte nach dem Studium eigentlich andere Pläne, an denen sie festhalten wollte, und mir wurde bewusst, dass ich es auch nicht auf Dauer weitermachen kann. Wir brauchten einen kompetenten Partner, der den Fortbestand der Institution, die KUNSTFORUM mittlerweile ist, sichern kann. Und der Hirmer Verlag schien uns am geeignetsten zu sein, um die Zeitschrift nach uns so fortbestehen zu lassen, wie sie geworden ist. Die Entscheidung für Hirmer war richtig. Drei Jahre lang hat er uns in allen Entscheidungen freie Hand gelassen, wir konnten inhaltlich in allen Belangen weiter frei agieren und wurden in allen betriebswirtschaftlichen Bereichen gut unterstützt und beraten. Zudem hat Thomas Zuhr, der jetzt nach meinem Ausscheiden alleiniger Geschäftsführer ist, mir vertraut und sehr viel freie Hand gelassen, eine Nachfolgerin oder Nachfolger zu finden. Wir sind zuversichtlich, dass mit Ann-Katrin Günzel, meiner Nachfolgerin, KUNSTFORUM International auch in Zukunft große Relevanz haben wird, die Kunstwelt kritisch beäugt wird und Impulse gesetzt werden.

von Heinz-Norbert Jocks

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