Burn after reading
Zehn aktuelle Künstlerzeitschriften im Porträt
von Judith Elisabeth Weiss
Toiletpaper
seit 2010, Maurizio Cattelan, Pierpaolo Ferrari
Weibliche Pobacken bedrängen ein Gesicht. Ein Kamm dient als Zahnbürste. Eine Couch versinkt in einem Spaghettiberg. Mit einer großen Schere wird einem Wellensittich der Flügel gestutzt. Eine nackte Frau ist mit Scheibletten-Käse bedeckt. Das von Maurizio Cattelan und dem Fotografen Pierpaolo Ferrari produzierte Magazin Toiletpaper präsentiert sich als Feuerwerk der Absurditäten. Es bewegt sich nah am Surrealismus, der in den Bildkollisionen des Disparaten die poetischen Zündungen für seine Kunst und in der Fragmentierung der Dinge die Geburt der Sinnhaftigkeit aus einer sinnlos entstellten Welt fand. Wenn Trauma und Traumarbeit dem Surrealismus den Nährboden lieferten, dann lässt sich Toiletpaper im gleichen Zuge als libidinöse Wunscherfüllungsmaschine deuten. Das komplett textfreie, zweimal jährlich erscheinende Magazin zitiert nämlich nicht nur die Verlockungen der kommerziellen Werbung, sondern will in seiner sinnlich-opulenten Hochglanzoptik selbst begehrt werden. Food-Fotografie und Fashion, psychosexuell aufgeladene Körper, Dinge, Tiere fügen sich zu skurrilen Bildern, die mal heiter sind, wie der an die Tischdecke genagelte Toast mit Spiegelei und Speck, mal zutiefst beunruhigend, wie die säuberlich von der Hand abgetrennten Damenfinger mit rotlackierten Nägeln, die auf blauem Grund gebettet sind.
Die Idee zum Magazin sei Maurizio Cattelan gekommen, als er auf dem Klo saß, so die geläufige Anekdote. Mehr noch ist der Titel eine Metapher für den unermesslichen Hunger nach Bildern und deren Verdauung. Toiletpaper entstand als Nachfolge des Kult-Magazins Permanent Food, das Cattelan mit Paola Manfrin von 1996 bis 2007 als „kannibalisches“ Projekt herausgegeben hat. Letzteres bestand…