DIS
Berlin ist nicht New York
Ein Gespräch mit dem Kuratorenteam der 9. Berlin Biennale Lauren Boyle, Marco Roso & David Toro
Von Heinz-Norbert Jocks
Die Welt ist ein Experiment, so der marxistische Philosoph Ernst Bloch, und deshalb ist das Alles ebenso möglich wie das Nichts. Zwischen beiden extremen Polen bewegen wir uns unausweichlich. Doch da wir dadurch bedingt mit einer ständigen, uns plagenden Ungewissheit konfrontiert sind, neigen wir zur unbewussten Flucht in eine uneigentliche Gegenwart, die nicht mehr als Leben an der Front der sich verändernden Zeit verstanden wird, an der immer wieder neue Entscheidungen zu treffen sind. Vielmehr wird im Heute lieber das wiederholt, wie es gestern war. Da tendiert die Offenheit für Neues gegen Null. Wir ritualisieren nicht nur die Gegenwart, sondern drücken ihr auch den Stempel des uns bereits Bekannten auf.
Ja, nicht ausgeschlossen ist, dass wir in Bezug auf das Zeitbewusstsein erst im Nachhinein die tiefere Bedeutung und die eigentlichen Qualitäten der 9.Berlin Biennale schätzen, ermessen, ihre radikale Abkehr von der Vergangenheit und ihre unorthodoxe Zuwendung zur Gegenwart nicht mehr als fahrlässige Kritiklosigkeit dieser gegenüber oder als modisches Spiel mit mehr oder weniger schicken Oberflächenreizen und Fassaden, sondern als ein alles auf den Kopf stellendes Zeitkonzept verstehen werden. In dem wird mit dem Verdikt von der Orientierung an der Vergangenheit gebrochen, weil diese eine Falle darstellt, in die wir so fröhlich wie blind und immer wieder tapsen, ohne zu merken, dass wir uns dadurch der Möglichkeit der Wahrnehmung der Gegenwart berauben. Diese offenbart sich uns erst dann in ihrer ganzen…
