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Ausstellungen: Winterthur · von Max Glauner · S. 320 - 321
Ausstellungen: Winterthur , 2016

Max Glauner
Enigma

»Jede Fotografie hat ein Geheimnis«
Fotomuseum Winterthur, 24.10.2015 – 14.12.2016

Der Dichter Oskar Pastior veröffentlichte 1985 eine Fotografie aus Familienbesitz samt ihrer kaum minder merkwürdigen Ekphrase, der Bildbeschreibung „Mutter und Knabe mit Kugelblitz (1928)“: In einem Hanomag sitzend präsentiert die stolz lächelnde Mutter das herausgeputzte Kleinkind, den späteren Poeta laureatus. Doch Pastiors Interesse richtet sich nicht auf die rührende Szene, sondern auf die Lichterscheinung, die sich mirakulös über den Köpfen der Abgebildeten zeigt. Sie treibt ihn zu einer irrwitzigen Reflexion über die Fotografie und das Fotografische hinaus, die er mit den Worten beschließt: „Die Schwierigkeit für Rezensenten einer Lichterscheinung ist unbedeutend angesichts der Ansicht, daß sie da ist.“

Pastiors Bildbetrachtung hätte ohne weiteres am Anfang einer bemerkenswerten, so unterhaltsamen wie unterrichtenden Ausstellung stehen können, die noch bis Mitte Februar im Fotomuseum Winterthur in ihrer letzten Station nach Paris und Chalon-sur-Saône zu besichtigen ist und von da an in dem herrlichen Katalog „Toute photographie fait énigme“ weiterleben wird. Ausstellung und Publikation wurden vom Doyen der französischen Fotografiegeschichte Michel Frizot gestaltet, der damit auch die Summa seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit dem Medium präsentiert. Und diese überrascht. Denn nicht das Wohlgestaltete, künstlerisch Gesuchte und Geformte wird hier zur Anschauung gebracht, sondern das Abseitige, scheinbar Missratene und Kuriose der Fotografiegeschichte, die hier auf der Suche nach dem „Wesen des Fotografischen“ einen ganz eigenen, originellen Zugang und Kanon erfährt.

„Tout photographie fait énigme“, – dass jede Fotografie nicht nur ihr Geheimnis habe, wie in der englischen und deutschen Übersetzung des Ausstellungstitels unterstellt wird, sondern ihr Geheimnis…



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