Facing India
Kunstmuseum Wolfsburg 29.04. – 07.10.2018
von Ingo Arend
Ein unmerklicher Riss, der sich über eine ganze Wand zieht. Auf den ersten Blick wirken die feinen schwarzen Linien an einer der großen Wände des Ausstellungssaals im Kunstmuseum Wolfsburg wie ein Riss in der Museumswand. Doch die Fäden folgen einem historischen Muster. Die Künstlerin Prajakta Potnis hat damit die Grenze zwischen Indien und Pakistan nachgezeichnet. Die Teilung des Subkontinents 1947 ist heute noch die klaffende Wunde des Subkontinents. Ihre Arbeit wird so zu einer Metapher für eine postkoloniale Realität par excellence.
Potnis’ Arbeit ließe sich auch als Metapher für die jüngste Ausstellung des Kunstmuseums Wolfsburg nehmen. Denn „Grenzerfahrung“ ist so etwas wie der gemeinsame Nenner der Arbeiten von sechs zeitgenössischen Künstlerinnen einer jüngeren Generation aus Indien, alle sind zwischen 38 und 49 Jahre alt. Der Terminus „Grenze“ ist freilich nicht rein geographisch zu verstehen. Wenn die Künstlerin Reena Saini Kallat in ihrer Fotoserie Crease/Crevice/Contour die zehn Stufen der Grenzziehung zwischen Indien und Pakistan im Zuge des ersten indisch-pakistanischen Krieges 1947 in Form von roten Namensstempeln, die wie Blutergüsse aussehen, auf den Rücken einer Frau tätowieren lässt, geht es ihr um die sozialen Folgen von Grenzziehung. Wenn Bharti Kher für ihren Deaf Room gläserne Armreifen schmelzen und zu Ziegeln formen lässt, aus denen sie eine dunkle Zelle baut, geht es ihr um den begrenzten Raum Frauen in der indischen Gesellschaft. Vollends metaphorisch wird die „Grenze“ in Mithu Sens Arbeit Mou (Museum of unbelongings) aus dem Jahr 2018. Die kitschigen Alltagsobjekte und wertvollen historische Artefakte nach…