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Relektüren · von Rainer Metzger · S. 334 - 335
Relektüren , 2018

Relektüren

Rainer Metzger
Folge 41

„Im Bunker hing von der Gewölbedecke eine oben in einer Rolle laufende Kette, die am unteren Ende einen starken, geschwungenen Eisenhaken trug. Man führte mich an das Gerät. Der Haken griff in die Fessel, die hinter meinem Rücken beide Hände zusammenhielt. Dann zog man die Kette mit mir hinauf, bis ich etwa einen Meter über dem Boden hing. Man kann sich in solcher Stellung oder Hängung an den hinterm Rücken gefesselten Händen eine sehr kurze Weile mit Muskelkraft in der Halbschräge halten. Man wird während dieser wenigen Minuten, in denen man die äußerste Kraft verausgabt, keine Fragen beantworten. Das in einem einzigen Körperbereich, nämlich in den Schultergelenken, gesammelte Leben reagiert nicht, denn es erschöpft sich ganz und gar im Kraftaufwand. Was mich betrifft, so mußte ich ziemlich schnell aufgeben. Und nun gab es ein von meinem Körper bis zu dieser Stunde nicht vergessenes Krachen und Splittern in den Schultern. Das eigene Körpergewicht bewirkte Luxation, ich fiel ins Leere und hing an den ausgerenkten, von hinten hochgerissenen und über dem Kopf nunmehr verdreht geschlossenen Armen.“

Der Eindrücklichkeit, mit der hier Gewalt geschildert wird, kann man sich schwerlich entziehen. Jean Améry musste es am eigenen Leib erlebt haben, was er 1965 zu seinem Bericht über „Die Tortur“ zusammenfasste. Er war im Zweiten Weltkrieg der Gestapo in die Hände gefallen, und sie würde das Werk verrichten, das Amérys Körper jedenfalls nie wieder vergessen hat. Und sein Geist auch nicht. Als Spätfolge von Amérys Erfahrungen mit Gefängnis, Folter, KZ würde er…


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