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Titel: Lebenskunst als Real Life · von Edith Almhofer · S. 158 - 162
Titel: Lebenskunst als Real Life , 1998

EDITH ALMHOFER
Mythos Sisyphos

EIN LEBENSKUNSTMODELL

Im Spannungsfeld des ästhetischen Pluralismus der neunziger Jahre markieren offenbar jene Unternehmungen das Neue, die mit integrativen Strategien künstlerischer Produktivität experimentieren. Allenthalben florieren Projekte, die aus dem Kontext Kunst ausbrechen und das alltägliche Leben zum Thema, Material und Ort ihrer Manifestationen machen.

Die persönliche Lebenswelt

KünstlerInnen veranstalten Clubbings, führen Restaurants, betreiben Geschäfte, arbeiten mit Geisteskranken, Behinderten, Außenseitern, und bieten Dienstleistungen aller Art an. Sie stylen Mode, entwerfen Einrichtungsgegenstände, erfinden Apparaturen zur Stimulierung der Wahrnehmung, bauen Behausungen für Mensch und Tier, legen Gärten an und inszenieren ganze Erlebniswelten.

Oder aber sie analysieren Funktionsmodi und Strukturen unserer Gesellschaft, erforschen Lebenslagen und Identitätsbilder, reflektieren geschlechtsspezifische Stereotypen und Klischees, und (re)konstruieren kollektive Erinnerung. Die Bandbreite der Projekte ist enorm. Sie bedienen sich aller potentiell verfügbaren Gestaltungsmittel und Darstellungsmodi, doch so sehr die einzelnen Ansätze in Anspruch und Erscheinung differieren mögen, scheint ihnen eines gemein: Sie etablieren artifizielle Gegenwelten.

Sie setzen einer unüberschaubaren Wirklichkeit, die sich als zersplittertes Spektrum gleichermaßen heterogener wie autonomer Teilwelten darstellt, den Anspruch auf Ganzheitlichkeit entgegen.1 Sie entfalten multiple Mikrokosmen, in welchen die divergierenden Praxisfelder Kunst und Leben einander bis zur Identität hin angenähert sind, was die einfache Zusammenschau des Verschiedenen ermöglicht und damit die Basis dessen bildet, worum jede Lebenskunst ringt: Die unbedingte Selbstschöpfung des Individuums, das Bedürfnis nach einem authentischen Eigenleben, in welchem sich das Selbst seinen Wünschen und Vorstellungen gemäß konstituieren kann, sich unmittelbar vereinzelt sowie identisch erfährt und zum eigenmächtigen Subjekt seiner Geschichte wird, kurz, Herr seines Schicksals ist.

Das Ansinnen, sein Dasein – und sei es in…


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