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Titel: Lebenskunst als Real Life · von Paolo Bianchi · S. 38 - 44
Titel: Lebenskunst als Real Life , 1998

EDITORIAL
Real Life

VON PAOLO BIANCHI

Das Passwort, um die Ästhetik des Lebens zu verstehen, heisst nicht mehr “Geschmackssache”, sondern LKW. Lebenskunstwerke, ja generell Dinge zwischen Leben, Kunst & Werk stacheln zum Widerstand an. Lebenskunst als Real Life ist der Störfall in einer Zeit, da sich der globalisierte Mainstream alles Widerständige einverleibt.

In LKWs zerbricht sich jede/r immer wieder den Kopf, wie sich kleine, vielfach verschlungene Biographien, radikale Fluchtlinien, Utopien, Leidenschaften und private Obsessionen erzählen lassen, ohne auf die grossen Erzählungen, auf den Grössenwahn oder sonstige Kraftmeiereien zurückzugreifen. Bescheidenheit ist eine weitere Qualität von LKWs: Sie geben nie mehr vor, als sie sind, dafür sind sie das, was sie vorgeben, vollumfänglich.

Ziel ist nicht, etwas zu Ende zu bringen, sondern das eigene Leben in Angriff zu nehmen.

1 + 1 = 3

Sie wirken wie Oasen der Selbstbestimmung in einer Kulturindustrie, die fast nur noch von ästhetischer Unruhe, heterogenen Verbindungen und schriller Selbstbehauptung zehrt. Alles lässt sich auf Labels reduzieren. Alles ist flüchtig und launenhaft wie die Pubertät eines verwöhnten Sprösslings aus begütertem Haus. Wer nicht dazugehört, muss von aussen durch die Scheibe zuschauen, wie das Fest steigt, drückt sich die Nase platt und friert an den Füssen. Viele Künstler leben in einer merkwürdig selbstkonstruierten Scheinrealität. Ihnen erscheint es als Albtraum, tatsächlich am Leben zu sein. Sie agieren im Elfenbeinturm oder in Reservaten der Willkür und damit in einem sozialen Vakuum.

Es ist paradox: Je subjektiver und authentischer ein Werk ist, desto zwangsläufiger haftet ihm der Charakter der Ware an. Auf dem angeblichen Weg vom Autismus zur…


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