Martin Seidel
Widerstand der Ästhetik
Die Selbst-Verpflichtung der Schönheit
Es gibt einen Common Sense darüber, dass das Schöne dosiert, plausibel und sinnvoll vermittelt sein muss, um nicht affektiert zu wirken. Die exaltierte Schönheit der Trash-, Camp- und Clip-Ästhetiken hat zwar ihre eigenen Reize, wird unter dem Ewigkeits-Gesichtspunkt der Kunst aber doch schnell als Eskapismus empfunden. Eine die Alltagswirklichkeit nicht antastende Schönheit stand als ungezügelter Ästhetizismus schon immer in der Kritik. Bei den Künstlern wie auch bei einer breiten, sowohl bürgerlichen als auch anti-bürgerlichen Öffentlichkeit dominiert die Auffassung, dass Schönheit einen vernünftigen Anlass haben und nicht nur schön und unterhaltsam, sondern auch nützlich sein muss. Kunst soll zur Bewältigung des Lebens, insbesondere des politischen und gesellschaftlichen Lebens beitragen. In aktuellen Debatten wird das “un-nütze” Schöne mit der autonomen (insbesondere abstrakten und konkreten) Kunst gleichgesetzt – und nicht selten die Gegenstandsfreiheit, die Nicht-Literarizität der Kunst abgelehnt. Solche Fragen erlangten nach Krieg und Holocaust Brisanz. Theodor W. Adorno (1903-1969) schrieb 1951 in “Kulturkritik und Gesellschaft”: “Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.” Er suggerierte damit das Ende der Kunst. Später schwächte er ab und erklärte – im Unterschied zu Jean-Paul Sartre (1905-1980), der eine politisierte “engagierte Kunst” postulierte – die autonome Kunst zur legitimen Kunst, weil diese gerade in ihrer Autonomie die letztlich resistentere sei. Die Kunstgeschichte der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass die Gleichung “autonome = schöne = politisch abstinente = nicht-engagierte = wirkungslose Kunst” ein Konstrukt ist, das die Dinge allzu sehr vereinfacht. Werke, wie die auf der documenta XI präsentierten “11….