Michael Hübl
Wie ein leeres, totes Auge
James Turrells Roden Crater und die “Causa” Fritzl repräsentieren die gleiche Wirklichkeit
Scheinbar unberührt von allem, was heute Zivilisation heißt, ragt Roden Crater aus der Landschaft von Arizona. Bis Flagstaff, der mit 52.000 Einwohnern nächsten größeren Stadt, sind es rund 40 Meilen, für die man rund eineinhalb Autofahrstunden benötigt. Roden Crater ist ein Kunstwerk. Veredelte Natur. Seit 30 Jahren lässt James Turrell den ausgeglühten Vulkan zu einem Ort besonderer Seherfahrung umbauen – mit Räumen, die zu individueller Autofokussierung verhelfen. Aus dem Inneren des kegelförmigen Berges heraus soll man in den Himmel blicken – abgeschirmt von allem, was Gegenwart heißt, durch die gewaltigen erkalteten Massen, die in prähistorischer Zeit aus den glühenden Magmenkammern der Erde gestülpt wurden. Umringt von Gestein soll sich der Blick nach oben wenden, denn hier steht man wie in einem Naturpantheon oder wie in einem megalithischen Augapfel, dessen Pupille auf das Universum ausgerichtet ist. Ein Erkenntnis-Dom, der den Weg zu Kontemplation und spiritueller Erfahrung bereitet. Ein Kunstwerk von Kant’scher Dimension, geeignet, einen Hauptsatz aus der “Kritik der praktischen Vernunft” in Erinnerung zu rufen: “Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir” 1.
Roden Crater ist die terrestrische Umkehrung dessen, was als das “Auge Gottes” zur christlich-jüdisch geprägten Vorstellungswelt gehört und das als Symbol vielleicht nur aus einem Lichtreflex resultiert: Welche Wirkung hatte es auf die Menschen im alten…