Christiane Fricke
André Raffray
»Lob den anderen«
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 5.2. – 11.4.1999
Die Geschichte handelt von der Selbstgenerierung eines Künstlers, aber auch von einem Kuckucksei, das 20 Jahre lang vom Kunstbetrieb (unter der Federführung von Pontus Hulten) bebrütet wurde – mit Erfolg.
Die Karriere des Sonntagsmalers André Raffray begann 1977 mit einem Auftrag von Hulten, dem ehemaligen Intendanten der Bundeskunsthalle. Hulten, der damals noch das Centre Pompidou leitete, ließ für eine Duchamp-Ausstellung den hölzernen Nachbau einer normannischen Markthalle errichten und beauftragte den 51jährigen Raffray mit der Anfertigung zwölf großer Gouachen. Die Aufgabe bestand darin, das Leben Marcel Duchamps in der Manier einer Heiligenvita zu fixieren. Raffrays verblüffende Fähigkeiten auf dem Gebiet der fotografisch getreuen Wiedergabe waren in Kuratorenkreisen bereits einschlägig bekannt: Außerdem verfügte er als Trickfilmzeichner und Teamchef einer Produktionsfirma über Erfahrungen mit trivialen Erzählbildern.
Vergegenwärtigt man sich, daß sich Duchamp sein Leben lang mit der Frage beschäftigte, ob man Werke machen kann, „die nicht Kunst sind“, dann war die Entscheidung für ein Engagement Raffrays ein Treffer mit Hintersinn. Doch als Raffray die erste Station der Künstlerlegende malte – der 15jährige Duchamp beim Malen der Dorfkirche von Blainville – und zu diesem Zweck an den Ort des historischen Ereignisses reiste, um die Dachziegel der wirklichen Kirche zu studieren, hatte er eine Idee, und diese führte kurioserweise zu nichts Geringerem als zur Geburt eines Künstlers.
Raffray begann, die originalen Schauplätze berühmter Landschaftsbilder aufzusuchen, fotografisch festzuhalten und in penibler, wochen- und monatelanger Malarbeit umzusetzen. Manchmal hatte er Pech. Die Motive für Vermeers „Delft“ und Grecos „Toledo“ waren völlig entstellt. „La Grande Jatte“ von Seurat entpuppte sich als Lagerplatz.
Seine erste, in Öl gemalte Kollektion hinterließ noch den Eindruck, hier konkurriere jemand mit den großen Meistern, womit sich Raffray aber nicht zufriedengeben konnte. In einem weiteren Schritt machte er sich deshalb daran, große Werke u.a. von Mondrian, Millet und Delacroix mit dem Farbstift wiederzugeben und ihnen eine eigene Fassung zur Seite zu stellen. Diese Dyptichen zählen zu den gelungensten Schöpfungen des Künstlers. An ihnen wird aber auch deutlich, daß das Phänomen Raffray vor allem auch ein Produkt raffiniert betriebener Selbstgenerierung ist. Ein inspirierter Handwerker und Kopist befördert sich in die Position des erfindenden Künstlers. Kein Zufall scheint deshalb zu sein, daß die eigene, fotorealistische Version gegenüber der Wiedergabe des Originals mit dem Farbstift qualitativ besser abschneidet.
Mit seinen Farbstift-Faksimilés hat sich Raffray auch als Tröster verdient gemacht. Er half den Franzosen über den Verlust abgewanderter Schlüsselwerke hinweg und sprang vielerorts als Retter ein, wenn wichtige Leihgaben nicht zur Verfügung standen. So ersetzte er für die öffentliche Kunstsammlung von Schloß Oiron Rousseaus „schlafende Zigeunerin“, Duchamps „Akt, die Treppe hinuntergehend“, „La Musique“ von Matisse und „Les Demoiselles d’Avignon“ von Picasso durch gleich große Farbstiftversionen. Letztere setzte Hulten im Jahre 1992 anläßlich seiner Eröffnungsausstellung in Bonn als Statthalter für das Original ein.
1994 bis 1996 entstand die Werkgruppe der „Déchirures“ (Riß-Bilder). Mit ihnen rücken Ausgangsbild und seine eigene Sicht darauf noch enger aneinander, denn beide Versionen sind nur durch einen Riß („déchirure“) geschieden und in einem gemeinsamen Rahmen vereinigt. Eine Seite reproduziert den entsprechenden Teil des Originals, die andere, topografisch nahtlos anschließende Seite gibt den heutigen Zustand des Motivs als Fotografie wieder. Eine vergrößert dargestellte Rißlinie in Weiß markiert den Bruch zwischen gestern und heute.
In den jüngsten Arbeiten verschränken sich die Zeitebenen, was nicht zu ihrem Vorteil gereicht. So hölzern wie das Resultat erscheint auch das Rezept, nach dem Raffray im Jahre 1995 „Die Badende“ von Félix Valotton wiedererschuf: „… die Landschaft wiederfinden und photographieren, auf das richtige Format vergrößern und darauf den Akt malen“. Im letzten Jahr entstand eine mit Video realisierte Version der „Le Luxe“ von Matisse.
Ein Fazit: In einem Alter, in dem die meisten Künstler nurmehr Wiederholungen ihrer jugendfrischen Würfe produzieren, startete Raffray eine künstlerische Karriere. Der Titel der Ausstellung „Lob den anderen“ ist somit nur die halbe heit. Eigentlich kreist André Raffray um nichts anderes, als um eine Form der „Aneignung“, die letztlich auf die Differenz zum verehrten und begehrten Vorbild hinausläuft. Nur so ist folgende Äußerung zu verstehen: „Natürlich fühle ich mich bei meiner Arbeit, zum Beispiel Renoir, wenn ich ein Motiv rekonstruieren möchte, sehr nahe. Aber vor allem fühle ich mich ganz nahe mir selbst. …“
Was ihn mit der jüngeren Generation, namentlich mit der Arbeit von Sherrie Levine und Mike Bidlo verbindet, ist dieses Streben nach dem eigenen Werk. Indes ist der Weg dorthin ein anderer. Raffray war kein junger Künstler mehr, als er sein ambitioniertes Projekt einer Neu-Schöpfung der klassischen Moderne in Angriff nahm. Er empfand nicht den unerbittlichen Innovationsdruck, dem die jungen Zeitgenossen ausgesetzt waren. Von den großen Vorbildern, seinen „Malerhelden“, fühlte er sich weder bedrängt, noch galt es für ihn, eine Bewältigungs-Strategie zu finden. Nicht der Leidensdruck oder das reflexive Interesse an den Erscheinungsformen, die der Umgang mit den Meistern angenommen hat, trieb ihn an, sondern Neugier, Begeisterung und Fetischismus. Dies schließt die selbstironische, dabei aber durchaus heitere Note nicht aus.
Der Katalog (120 Seiten, 135 Abbildungen, davon 67 in Farbe, 35 DM) enthält Texte u.a. von Günter Metken, Ileana Cornea, Jennifer Gough-Cooper, Jacques Caumont, Sylvie Coëllier und Jean Le Gac.